ZWISCHEN DEN RILLEN
: Der Wille zur Individualität

Wu Lyf, „Go Tell Fire to the Mountain“ (LYF Recordings)

Ihr Name Wu Lyf soll für „World Unite / Lucifer Youth Foundation“ stehen

Von Anfang an machte die britische Band Wu Lyf auf nicht alltägliche Weise von sich reden: Zuerst verbreiteten sie ein Foto, darauf zu sehen ist eine Gruppe junger Typen, alle mit weißen Tüchern vermummt, eingehüllt in dichte Rauchschwaden auf einem Parkplatz. Niemand wusste, wer hinter der Band steckte oder aus wie vielen Musikern sie überhaupt bestand – aber selbst mit diesem ersten Bild vermittelten Wu Lyf sofort, um was es ihnen geht: Um Attitude, um Gang-Mentalität, darum, mehr zu sein, als ein paar Jungs, die gern Gitarre spielen.

Geschickt jonglierten Wu Lyf – ihr Name soll für „World Unite / Lucifer Youth Foundation“ stehen – auch nach ihrem unvermuteten Auftauchen mit den Konzepten „Rätsel“ und „Exklusivität“. Das machte sie zu einem interessanten Gegenentwurf zur sonst herrschenden Ubiquität von Musik und Künstlerinformationen. Das erste Demo wurde auf wenige Exemplare limitiert und den Plattenlabel-Talentsuchern für horrende 50 Pfund verkauft. Fans der ersten Stunde konnten Mitglied in der sogenannten Lucifer Youth Foundation werden und dadurch exklusiven Zugang zu ihren Konzerten erhalten, die ausschließlich in einem Atelier im nordenglischen Manchester stattfanden.

Erst nach und nach lichtete sich der Nebel, einzelne Songs fanden ihren Weg auf YouTube und ließen erstaunte Fans zurück. Wann hatte man je eine so junge Band gesehen, die plattenlabelunabhängig mit einem derart fertigen Entwurf vor die Öffentlichkeit trat und dabei die besten Musikvideos des Jahres und die originellste Musik seit Langem präsentierte? Erst jetzt, ein Jahr nachdem Wu Lyf erstmals auf sich aufmerksam gemacht haben und die Gruppe außerhalb Manchesters aufgetreten ist, ist das Debütalbum „Go Tell Fire on the Mountain“ erschienen. Es macht zwar die Bandmitglieder mit Gesicht und Namen bekannt, aber man kann ihre Musik nicht vollständig entschlüsseln, Wu Lyf arbeiten bemerkenswert anders als alle anderen.

Ihre Pressemitteilungen sind genau durchdachte, mitunter pathetische Pamphlete eines Willens zu mehr Individualität. Ihre Songs sind schwer zu greifen. Versuche, sich eine Schublade zu zimmern, schlagen fehl. Was sollen Leser auch mit Hinweisen anfangen, Wu Lyf würden wie die Stone Roses zu „Fool’s Gold“-Zeiten mit Tom Waits als Sänger und den Foals als Vorbildern klingen – und dabei noch HipHop-Samples und Kirchenorgeln in den Mix werfen?

Aufruf an die Jugend

Was man am Wu-Lyf-Sound festmachen kann: Ellery Roberts singt im extremen nordenglischen Dialekt, besser Kauderwelsch, was seine Texte selbst für Muttersprachler schwer verständlich macht – er folgt hier eher dem Beispiel von Sigur Ros, die den Sound der Stimme als Bestandteil der Songstruktur und nicht als Text transportierenden Gegensatz zur Musik eingesetzt hatten. Nur: Wo die Isländer dadurch Eskapismus bieten und in eine Art Sagenwelt führen, ist Roberts raue Reibeisenstimme dazu gerade nicht geeignet.

Passend dazu sind die Texte, wenn man sie denn mal nachlesen kann, auch überhaupt nicht geeignet zur Weltflucht, sondern aktuell und auf den Punkt. In „Dirt“, dessen Video die Straßenkrawalle in Zeiten der Wirtschaftskrisen allerorten als Grundthema hat, lautet der Schlüsselsatz: „And no matter what they said / Dollar is not your friend.“ So ist im Kaumverständlichen für alle, die sich die Mühe des Dekodierens geben, ein Aufruf enthalten, sich dem Wesen des Kapitalismus entgegenzustellen. Und im weiteren Liedtext die Erkenntnis versteckt, dass nur die Jugend sich entgegenstellen wird, nicht die Alten, die vom System profitiert oder sich einfach nur längst daran gewöhnt haben.

In ihren Texten nehmen Wu Lyf so die kämpferischste Position unter britischen Bands diesseits von platten Punkparolen an. Dass sie darüber hinaus noch mit ihrer Idee des Kollektivs einen Weg weisen, wie sich Kunstkonzepte ins Musikbusiness übertragen lassen – tatsächlich haben sie auch bei der Veröffentlichung des Debütalbums ihre Unabhängigkeit bewahrt –, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die vier Musiker aus Manchester es ernst meinen mit ihrer neuen Weltsicht. CHRISTIAN IHLE