Herr Edathy sorgt für Ärger

AFFÄRE Der Expolitiker stellt sich Journalisten und dem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Seine Parteifreunde von der SPD geraten in Erklärungsnot

„Das hier ist mein letzter großer Auftritt in Berlin. Den Politiker Edathy gibt es nicht mehr“

AUS BERLIN ASTRID GEISLER, ANJA MAIER
UND TOBIAS SCHULZE

Sebastian Edathy erscheint zu früh. Acht Minuten vor dem offiziellen Beginn betritt er den Saal der Bundespressekonferenz. Kameraleute und Fotografen drängen sich vor dem Podium. Edathy, 45, sieht unverändert aus. Mittelgroß, schlank, gesunder Teint. Kaum vorstellbar, dass dieser Mann aktuell die größte Bedrohung für die Sozialdemokratische Partei sein soll. Aber das ist er. Und das weiß er.

Er sei gekommen, um ein paar Punkte zur Kenntnis zu bringen, sagt Edathy gleich zu Beginn. Anschließend werde er sich vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages äußern. „Ich weiß“, sagt Edathy, „ich habe viele Menschen enttäuscht, das tut mir aufrichtig leid.“ Ihm gehe es nicht um Rache, ihm sei auch „wegen der psychischen Belastung daran gelegen, die Dinge beizulegen.“ Seine Stimme wird jetzt brüchig. Edathy – der des Besitzes von Kinderpornografie beschuldigte Expolitiker – will ein paar Dinge loswerden, die ihm wichtig sind. Dazu gehören auch ein paar veritable Fangeisen für die SPD.

Die zentralen Vorwürfe hat Edathy in einer „Eidesstattlichen Versicherung“ zusammengefasst, drei DIN-A4-Seiten lang. Edathy nennt es „die Wahrheit“, was die in dem Papier genannten SPD-Herren bestreiten.

Die politisch größte Sprengkraft hat, was Edathy dem SPD-Mitglied und bis vor Kurzem obersten Polizeibeamten der Republik nachsagt. Jörg Ziercke, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, habe den SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann (inzwischen vor allem bekannt für seine Crystal-Meth-Einkäufe) „mehrfach von sich aus“ auf den Fall angesprochen und über Wochen „persönlich über den Fortgang der Angelegenheit auf dem Laufenden“ gehalten. Hartmann wiederum habe ihm die Informationen des BKA-Chefs zum Stand der Ermittlungen durchgereicht.

So stellt man sich das Verhältnis von Ermittlungsbehörden und Politik in einem korrupten Polizeistaat vor. Das BKA ermittelt in den wichtigsten Kriminalfällen des Landes, von Rechtsterrorismus bis organisierter Kriminalität. Kann es sein, dass der Behördenchef seine Spezln auf dem Laufenden hält – ein Verhalten, das man selbst bei Dorfpolizisten unmöglich fände?

Edathy hat seine Vorwürfe gegen Ziercke bestenfalls aus zweiter Hand. Belege, die deren Wahrheitsgehalt unterfüttern würden, fehlen bislang. Dennoch: Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden prüft jetzt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Jörg Ziercke. Während Edathy im Bundestag vor dem Untersuchungsausschuss aussagt, erläutert der Pressesprecher auf taz-Anfrage: „Wir werden jetzt Material sammeln und dann entscheiden, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.“ Infrage kämen Ermittlungen gegen Ziercke wegen Strafvereitlung im Amt und der Verletzung von Dienstgeheimnissen. Im Übrigen könne sich aber „auch Herr Hartmann strafbar gemacht haben“ – falls etwas an Edathys Behauptungen dran sein sollte.

Auch einer der einflussreichsten Sozialdemokraten im Bundestag, der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, hat laut Edathy gelogen. Seine erste Pressemitteilung zu der Affäre Anfang Februar „entspreche nicht der Wahrheit“, steht in der eidesstattlichen Erklärung. Außerdem wirft Edathy Oppermann vor, auch seinen Büroleiter Heiner Staschen eingeweiht zu haben.

An diesem Vormittag in der Bundespressekonferenz mischten sich die Sachverhalte. Einerseits ging es um die Abläufe innerhalb der SPD-Fraktion. Andererseits um den Vorwurf, kinderpornografische Filme gekauft zu haben. Sollte Edathys Kalkül sein, durch Schuldzuweisungen an seine SPD-Kollegen die Aufmerksamkeit davon abzulenken, so gelingt ihm das nicht.

Auf mehrfache Nachfrage zu den von ihm erworbenen Filmen, zur Verantwortung oder dem Wissen um die Entstehungsbedingungen reagiert Edathy dünnhäutig. Mehrfach sagt er, es sei „sicher falsch gewesen, sie zu bestellen. Aber es war legal.“ Im Übrigen umfasse sein Rechtsstaatsverständnis auch, dass Privates „niemanden etwas angeht“. Für das, was er gemacht habe, habe er einen hohen Preis bezahlt. „Vielleicht wird es auch wieder möglich sein, in Deutschland zu leben.“

Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Sebastian Edathy und der Durchsuchung seiner Privat- und Büroräume am 10. Februar 2014 war er aus der Öffentlichkeit verschwunden. Auf Facebook machte er sich fortan daran, die ermittelnde Staatsanwaltschaft, aber auch die Medien zu schmähen.

Dem Spiegel gab er ein Interview, in dem er erklärte: „Ich bin nicht pädophil. In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, übrigens eine lange Tradition.“ Auf eine entsprechende Nachfrage eines Journalisten blafft er vor der Bundespressekonferenz: „Vielleicht sind Sie ja pädophil?“

Immer gereizter reagiert er auf Nachfragen. Mal bescheinigt er einem Springer-Journalisten, so was könne doch sogar begreifen, wer bei der Bild-Zeitung arbeite. Einmal pariert er eine Frage gar mit dem Satz: „Where is the fucking problem?“

Eine Journalistin, die eindringlich fragt, ob er ein Wort sagen wolle zu den durch die Filmproduktionen traumatisierten Jungen, kanzelt er ab: „Ich habe mich entsprechend geäußert.“

Sebastian Edathy, der Mann im gedeckten Anzug, will nun los zum Untersuchungsausschuss. Er müsse, sagt er, vorher noch zwei Zigaretten rauchen und auf die Toilette. Noch einmal geht er seine alten Wege durch das Regierungsviertel. „Das“, sagt er, „ist mein letzter großer Auftritt hier in Berlin. Den Politiker Edathy gibt es nicht mehr.“

Um kurz vor eins betritt er den Saal des Untersuchungsausschusses. Blick nach links: die Kuppel des Reichstags. Blick nach rechts: die Abgeordnetenbüros des Paul-Löbe-Haus. Schließlich, als Edathy auf dem Zeugenstuhl sitzt, der Blick geradeaus: Edathys ehemalige Fraktionskollegin Eva Högl thront dort.

„So eine eidesstattliche Erklärung ist rechtlich völlig wirkungslos!“, wirft sie ihm vor. Edathy lacht auf. „Wissen Sie eigentlich, was es für mich bedeutet, wenn ich hier nicht die Wahrheit sage?“, fragt er. „Ich würde mich strafbar machen!“ – „Ich brauche keine Belehrungen“, antwortet Högl knapp.

Edathy trägt vor, was er zuvor schon dem Magazin Stern erzählt und am Vormittag in der Bundespressekonferenz wiederholt hatte: dass Hartmann ihn vor Ermittlungen gewarnt und dass der seine Informationen vom damaligen BKA-Chef Jörg Ziercke erhalten habe. Die SPD-Spitze, allen voran Fraktionschef Thomas Oppermann, habe auch davon gewusst – Edathy aber nicht selbst gewarnt. Bestimmt habe Hartmann ihn einmal pro Woche auf den aktuellen Stand gebracht, sagt Edathy.

Konkrete Beweise legt er dem Ausschuss nicht vor, dafür zwölf Seiten Papier, bedruckt mit SMS zwischen ihm und Hartmann. Darunter auch viele, die bisher nicht öffentlich bekannt waren. „Wir haben natürlich vermieden, in SMS bestimmte Schlagwörter reinzuschreiben“, sagt Edathy. Weiterhin steht also Aussage gegen Aussage, auch vor dem Auftritt Hartmanns vor dem Ausschuss, der für den Donnerstagabend erwartet wurde.

Meinung + Diskussion SEITE 12