Sport für Milliarden

COLLEGE-FOOTBALL Am Montag steigt das Finale im US-College-Football: Ohio State Buckeyes gegen Oregon Ducks. Schon lange organisieren die Unis den Sport nicht mehr nur fürs Image

Der Universitätssport in den Vereinigten Staaten und Kanada wird organisiert von der National Collegiate Athletic Association (NCAA). Die meisten Sportarten sind Zuschussgeschäfte für die Universitäten, allerdings dienen Meistertitel dem Renommee der Schule und bei der Akquise von Spenden. Sportarten wie Football und Basketball versprechen aber Millionenumsätze und Zehntausende Zuschauer. Die NCAA kann Unis bestrafen, zum Beispiel wenn sie gegen die Amateurregeln verstoßen. Die drastischste Sanktion ist der sogenannte death penalty: das Verbot eines Sports am College. (to)

VON THOMAS WINKLER

Kneipengänger in Dayton, Ohio, aufgepasst: Dieses Wochenende finden eure Sauftouren nicht wie gewohnt im Oregon District statt, sondern im „Buckeye District“. Die Stadtverwaltung hat beschlossen, das Ausgehviertel bis einschließlich kommenden Montag umzubenennen.

Der Grund: Am kommenden Montag wird die Meisterschaft im College-Football entschieden. Im Finale stehen sich die Ohio State Buckeyes und die Oregon Ducks gegenüber. Angesichts dieser Ausgangslage wollte die in Ohio gelegene 150.000-Einwohner-Stadt keine Zweifel an ihrer Solidarität aufkommen lassen.

Weniger eindeutig sind die Sympathien anderswo verteilt: Im Städtchen Oregon, das als Vorort von Toledo das Pech hat, ebenfalls ausgerechnet in Ohio zu liegen, scheiterte eine Onlinepetition für eine temporäre Umbenennung. Der Bürgermeister hatte recherchiert, dass Oregon, Ohio, seinen Namen schon seit 1838 trägt und damit mehr als zwei Jahrzehnte länger als Oregon, der Bundesstaat.

Wenn es um College-Sport geht, drehen die Amerikaner durch.

Am größten ist das Interesse am Football. Für das Endspiel am Montag werden neue Einschaltquotenrekorde erwartet. Das 105.000 Zuschauer fassende Stadion in Arlington, in dem sonst die Dallas Cowboys spielen, dürfte voll werden, auch wenn die billigsten Karten, die die Fans über die jeweiligen Universitäten kaufen können, 470 Dollar kosten, die Reisekosten nach Texas natürlich exklusive.

Für einen Mitteleuropäer immer noch schwer vorstellbar: Der Unisport in den USA ist groß. Richtig groß. Während der Amerikaner Profimannschaften als Teil eines Unterhaltungsbetriebs sieht und zu ihnen meist ein eher lockeres Verhältnis pflegt, entwickelt er zu den Teams, deren Universität er besucht hat, eine so leidenschaftliche Beziehung, wie sie Fans europäischer Fußballklubs kennen. Daraus ist in den vergangenen Jahren ein Geschäft entstanden, mit dem die großen Colleges Millionen Dollars einnehmen, mit denen wiederum auch die Etats von Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen gestützt werden. So gesehen finanzieren die College-Football- und -Basketball-Teams amerikanische Olympiasiege.

Dieses Geschäft ist mittlerweile allerdings so groß geworden, dass ein absurdes Ungleichgewicht zum strukturellen Problem geworden ist. Immer lauter werden die Stimmen, die nicht nachvollziehen können, dass die Spieler, die Zuschauer ins Stadion und vor die Fernsehschirme locken, deren Konterfeis auf den Verpackungen teurer Computerspielen prangen und deren Trikots verkauft werden, nicht an den Einnahmen beteiligt werden.

Selbst Marcus Mariota, Quarterback der Oregon Ducks und Gewinner der Heisman Trophy als bester College-Football-Spieler, darf nur mit einem Stipendium entschädigt werden, das nicht einmal alle Kosten der Universitätsausbildung abdeckt. Johnny Manziel, zwei Jahre vor Mariota Heisman-Preisträger und mittlerweile NFL-Profi in Cleveland, bekam Ärger, weil er vermutlich gegen Honorar Autogramme gegeben hatte.

Längst macht der College-Football sogar dem großen Bruder NFL Konkurrenz. Vor gut einer Woche stellte die University of Michigan ihren neuen Footballtrainer vor. Jim Harbaugh kam direkt aus der umsatzstärksten Profiliga der Welt, wo er mit großem Erfolg die ruhmreichen San Francisco 49ers immerhin einmal zum Superbowl geführt hatte. Dass er nun die Mannschaft seiner eigenen Alma Mater trainieren darf, damit geht für ihn ein Kindertraum in Erfüllung, sagt Harbaugh. Dass er als Trainer der Michigan Wolverines sich nicht mehr mit einem anspruchsvollen Teambesitzer und Profis mit Allüren herumschlagen muss, mag ebenso zu seiner Entscheidung beigetragen haben wie die Tatsache, dass er nun 5 Millionen Dollar im Jahr verdient und damit sogar mehr als in San Francisco. Harbaugh ist noch nicht einmal der bestbezahlte College-Coach. Das ist Nick Saban von den Alabama Crimson Tide: Über 7 Millionen Dollar strich er diese Saison ein.

Diese Gehälter und Trainingseinrichtungen, die denen der Profis in nichts nachstehen, finanzieren die Universitäten mit Einnahmen aus TV-Verträgen, Ticketverkäufen für Stadien, die wie an der University of Texas bis zu 100.000 Zuschauer fassen, und Spenden ehemaliger Studenten, die es zu Geld gebracht haben und Fan ihrer Uni geblieben sind. Da kommt einiges zusammen. Exakte Zahlen gibt es nicht, weil die Colleges die Einnahmen meist nicht nach Sportarten trennen. Allein der über zwölf Jahre laufende TV-Vertrag über das zu dieser Saison eingeführte „College Football Playoff“ mit zwei zusätzlichen Halbfinalspielen vor dem großen „Championship Game“ am Montag spült noch einmal sagenhafte 7,3 Milliarden Dollar zusätzlich in den Sport. Durchschnittlich, so wird geschätzt, nimmt jede Sportabteilung der 340 Schulen, die auf der höchsten Ebene des College-Sports organisiert sind, 56 Millionen Dollar jährlich ein. Bei den bekanntesten Unis bringt der Football 65 Prozent des Umsatzes. Man kann also davon ausgehen, dass der College-Football, offiziell immer noch ein Amateursport, ein Milliarden-Dollar-Geschäft geworden ist.

Ein Spitzenspieler erhält ein kleines Stipendium, ein Trainer verdient bis zu 7 Millionen Dollar

Umso unverständlicher finden es immer mehr Menschen, dass die NCAA, die den College-Sport kontrolliert, krampfhaft an überkommenen Traditionen wie dem Amateurstatus festhält. Der ist eh längst ausgehöhlt: Es ist ein offenes Geheimnis, dass an den meisten Colleges mit erfolgreichen Mannschaften die talentiertesten Athleten unter der Hand Geld und Geschenke bekommen, zwar nicht von den Unis selbst, aber von sogenannten Boosters – Ehemaligen, die ihrer Alma Mater etwas Gutes tun wollen. Darunter sind nicht selten auch zwielichtige Gestalten, die hoffen, eine Karriere als Spielerberater machen zu können. Mit dem Erziehungsauftrag und der Fürsorgepflicht, die Hochschulen auch besitzen, ist das kaum mehr zu vereinbaren.

Nun wird sich allerdings etwas ändern. Die Unis, die organisiert sind in den fünf wichtigsten College-Ligen mit ungefähr 60 Mitgliedern, werden wohl demnächst eine Ausnahmegenehmigung bekommen, die Stipendien zu erhöhen. Daraus sollen die Sportler dann tatsächlich alle Studiengebühren und Lebenshaltungskosten bestreiten können und nicht mehr in Versuchung geraten, illegale Zuwendungen anzunehmen.

Auslöser dieses Reförmchens war ein Gerichtsverfahren. Ed O’Bannon, ehemaliger Star der UCLA Bruins und später Profi in der NBA und bei europäischen Klubs, hatte die NCAA verklagt. Der mittlerweile 42-Jährige wollte Geld dafür, dass sein Name und Bilder von ihm ohne seine Erlaubnis in Computerspielen kommerziell verwertet wurden. Das Verfahren endete im vergangenen Sommer mit einer Niederlage der NCAA. Die Richterin stellte fest, dass die NCAA gegen das Kartellrecht verstößt, und befand, die Studentensportler müssten an den exorbitanten Einnahmen beteiligt werden.

Davon werden die Spieler, die am Montag um den Titel spielen, noch nicht profitieren. Aber womöglich ihre Nachfolger.

Das große Geschäft mit den angeblichen Amateuren steht vor umwälzenden Veränderungen.