MICHAEL BRAUN ÜBER DEN RÜCKTRITT DES ITALIENISCHEN STAATSPRÄSIDENTEN
: Gut gewählter Zeitpunkt

Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano geht. Weder der Rücktritt noch der Zeitpunkt kommen überraschend. Schon in seiner Neujahrsansprache hatte der 89-Jährige erklärt, dass er auf dem Sprung sei, dass er sich aufs Altenteil zurückziehen wolle.

Nur das Ende der italienischen EU-Ratspräsidentschaft wollte er abwarten, und die klang mit Matteo Renzis Rede am Dienstag in Straßburg aus. Aber das Argument darf als vorgeschoben gelten. Wahr daran ist nur, dass Napolitano während Renzis Ratspräsidentschaft der europäischen Öffentlichkeit nicht das Schauspiel eines Parlaments bieten wollte, das zum Beispiel die Wahl des Staatsoberhauptes 2013 in eine Nacht der langen Messer verwandelt hatte, der der seinerzeitige Favorit Prodi zum Opfer fiel.

Weit wichtiger für Napolitanos Entscheidung, jetzt seinen Stuhl zu räumen, dürfte der Fortschritt der Reformen in Italien sein. Der alte Mann war 2013 überhaupt nur für ein zweites Mandat angetreten, weil er das Land in akutem Notstand sah. Die von Renzi angeschobene Reform des Wahlrechts sowie die auf den Weg gebrachte weitgehende Entmachtung der zweiten Kammer, des Senats, sind mittlerweile weit fortgeschritten. Deshalb vor allem glaubt Napolitano, dem Land den Stabwechsel im Präsidentenamt zumuten zu können.

Eine weitere, mehr als umstrittene Reform hat er selbst energisch vorangetrieben: Seit Berlusconis Sturz 2011 hatte Napolitano seine präsidialen Vollmachten ausgedehnt, ja in den Augen vieler Kritiker überdehnt. Stärker als vom Vertrauen des Parlaments, so schien es, hingen Regierungen vom präsidialen Vertrauen ab. Selbst in die Konflikte innerhalb Renzis Partito Democratico – aus der auch Napolitano stammt – schaltete er sich zuletzt offen ein. Sein Nachfolger täte gut daran, wenigstens diese „Reform“ wieder rückgängig zu machen.

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