Naive Opfer

CHAMPIONS LEAGUE Weil sie in der Defensive anfällig und im Angriff zu schludrig sind, verlieren die Borussen klar bei Olympique Marseille. Dortmund ist immer noch auf der Suche nach der Form des Meisterjahres

„Der heutige Abend ist unter der Kategorie ‚Extrem Lehrgeld bezahlt‘ zu verbuchen“

BVB-COACH JÜRGEN KLOPP

AUS MARSEILLE FELIX MEININGHAUS

Kurz bevor das Spiel abgepfiffen wurde, tauchte Jürgen Klopp noch einmal am Rand der Coachingzone auf. Die Mimik des Trainers von Borussia Dortmund sprach Bände: Der 44-Jährige ließ die Schultern hängen, blickte zu Boden, seine Mundwinkel waren tief heruntergezogen. Nein, es war kein guter Abend für den Trainer von Borussia Dortmund und seine Mannschaft. Der BVB verlor das Auswärtsspiel bei Olympique Marseille mit 0:3. Es war ein dermaßen deutliches Ergebnis, dass kein Spielraum blieb für tröstliche Gedanken. „Ich habe ein richtig beschissenes Gefühl“, sagte Manndecker Neven Subotic: „Es lief so viel gegen uns, und nichts hat richtig geklappt.“

Tatsächlich war es eklatant, wie viele Unzulänglichkeiten sich die Spieler des Meisters zuschulden kommen ließen. Wie geprügelte Hunde schlichen sie vom Rasen des Stade Vélodrome, schwer beladen mit einer Niederlage, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. „Niemals“, gab Mats Hummels zu Protokoll, „hätten wir dieses Spiel verlieren dürfen. Aber das interessiert am Ende keinen Menschen, weil wir hier eine Klatsche kriegen.“ Das beurteilte sein sportlicher Vorgesetzter ähnlich: „Dass wir mehr Ballbesitz haben, mehr laufen und mehr Chancen kreieren, spricht für uns“, sagte Klopp: „Aber am Ende verlieren wir hoch, und das ist allein unsere Schuld.“

Was war passiert in der Provence, dass die Borussia einen solch frustrierenden Champions-League-Abend erleiden musste? Die Gründe für das Debakel waren an beiden Enden des Spielfelds zu finden. Vorn versäumte es der BVB, eine Vielzahl an hochkarätigen Einschussmöglichkeiten zu nutzen, und in der Defensivabteilung unterliefen den Männern in Schwarz-Gelb solch haarsträubende Fehler, dass ein wahrlich nicht überragender Gegner einen klaren Sieg davontragen konnte. Borussia hatte in der schwarzen Nacht von Marseille eine ganze Reihe von tragischen Helden, die sämtlich eine Teilschuld auf sich luden. Zum Beispiel Subotic, der beim 0:1 ohne Not ausrutschte und damit Platz machte für den Treffer des überragenden Ghanaers André Ayew. Oder Hummels, der seinem Kontrahenten Loïc Remy den Ball vorm zweiten Treffer mit einem stümperhaften Kopfball maßgerecht in den Lauf legte. Oder Lukasz Piszczek, der den Ball wie ein Schüler vertändelte, sodass Sebastian Kehl einen Elfmeter verursachte, den Ayew zur Entscheidung nutzte.

Zu solch schlimmen Fehlleistungen in der Rückwärtsbewegung kam ein geradezu fahrlässiger Umgang mit besten Chancen. Vor allem Mario Götze versäumte es, die Dinge in eine andere Richtung zu drehen. In der ersten Halbzeit scheiterte der Jung-Nationalspieler mit einer erstklassigen Chance, und nach dem Seitenwechsel brachte der 19-Jährige das Kunststück fertig, den Ball freistehend aus drei Metern an den Pfosten zu schieben. Bei einer Jugendmannschaft wären solche Aussetzer ja noch verzeihlich, bei Profis, die sich in der Champions League bewähren wollen, sind sie unverzeihlich.

Dortmunds gestrauchelte Himmelsstürmer unternahmen erst gar nicht den Versuch, die eigenen Fehlleistungen schön zu reden. „Wir müssen diese individuelle Fehler vor unserem und vor dem gegnerischen Tor dringend abstellen“, forderte Hummels. Und Mannschaftskapitän Sebastian Kehl ergänzte: „Wir spielen unseren Gegnern immer wieder in die Karten, und das tut verdammt weh.“ Wie in der vergangenen Saison, als sie in der Gruppenphase der Euroliga frühzeitig die Segel streichen mussten, droht dem BVB erneut das Schicksal, das Opfer der eigenen Naivität zu werden.

Aufwand und Ertrag stehen in einem eklatanten Missverhältnis, „unser Gegner“, so Kehl, „hat uns gezeigt, wie man seine Chancen konsequent nutzt. Das war heute der große Unterschied.“ Dass die immer noch junge Dortmunder Mannschaft irgendwann an den Punkt kommt, an der sie an sich selbst verzweifelt, glaubt der Spielführer jedoch nicht. „Das ist überhaupt kein Thema“, verkündete Kehl nach der deprimierenden Erfahrung von Marseille. Davon, wie die Dortmunder Krisenbewältigung funktionieren kann, hat der ehemalige Nationalspieler eine ziemlich konkrete Vorstellung: „Wir müssen dieses Spiel jetzt ernsthaft analysieren und dann am Wochenende gegen Augsburg mit breiter Brust rausgehen. Dann werden wir auch wieder in die Spur kommen.“