Esst mehr Schafsnasen!

Thomas Bröcker und Claudia Schernus ernten in Brandenburg längst vergessene Apfelsorten. Die können am Sortengartentag begutachtet werden. Auch in der Schöneberger „Apfelgalerie“ werden die seltenen Sorten der Apfelafficionados feilgeboten

VON CAROLA RÖNNEBURG

Eine Kiste voller Hasenköpfe ist ein selten schöner Anblick. Jedenfalls dann, wenn die Hasenköpfe auf Brandenburger Bäumen groß geworden sind und es sich bei ihnen um eine alte Apfelsorte handelt. Selten ist die jedoch allemal: Obwohl der Apfelbaum weltweit der meistverbreitete Obstbaum ist und 20.000 Sorten existieren – europaweit 1.600 –, beschränken sich unsere Supermärkte auf das ewig gleiche Angebot von Boskoop, Braeburn, Cox Orange, Elstar, Gloster und Golden Delicious.

Wo aber lassen sich Sorten- und Geschmacksvielfalt entdecken? Ausflüge nach Brandenburg, an apfelbaumgesäumten Straßen und Streuobstwiesen entlang, machen Hoffnung. Doch der Eindruck vom Apfelparadies täuscht – keinesfalls muss man nur die Hand ausstrecken, um Gravensteiner, Herbstprinz oder Ananasrenette zu ernten.

Es hat ohnehin sehr lange gedauert, bis Äpfel in Brandenburg zur Geltung kamen. Noch im späten Mittelalter war der Obstbau Angelegenheit der Klöster und der höheren Stände. Nachdem diese auf den Geschmack gekommen waren, gab es im 17. Jahrhundert Bestrebungen, den Obstanbau zu erweitern – die Bauern jedoch, gebeutelt durch den Dreißigjährigen Krieg, widmeten sich konsequent ihren Äckern und dem Vieh. 1685 erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm daher Verordnungen, wonach Bauern und Kleinbauern je vier beziehungsweise zwei Obstbäume pro Jahr pflanzen sollten. Bei Nichterfüllung des kurfürstlichen Plans drohten Geldstrafen.

Befolgt wurde die Anordnung nicht, und so kam es bald zu weiteren Vorschriften, die nun jeden Einwohner auf dem Lande verpflichteten, selbst auf kleinstem Raum Obst- und Eichenbäume zu setzen. Zur Sicherheit war auch jede Eheschließung an die Pflanzung von Eichen und die Veredelung von Obstbäumen gekoppelt – wer sich dazu nicht in der Lage sah, sollte sich gegen ein „Pflanzgeld“ herauskaufen.

Die Obstoffensive ging schief. Weder hielt sich das Volk an die Vorschriften, noch kümmerten sich jene, die gehorsam gewesen waren, um die neuen Bewohner ihrer Grundstücke und Gärten –die Pflanzen gingen ein.

Brandenburg wäre wohl noch heute apfelfrei, hätten nicht im 19. Jahrhundert Gutsbesitzer und Bürger den Obstbau für sich entdeckt. Ein jeder züchtete, importierte aus Frankreich, Holland und England, und schon bald (1849) stieg die Zahl der bekannten Apfelsorten auf 650. Dies sollte nicht so bleiben. Knappe 100 Jahre bevor die EWG-Vorschriften die Sortenvielfalt erheblich beeinträchtigten, beschloss die dritte deutsche Pomologenversammlung, nur zehn Apfelsorten für ein Normalsortiment zu empfehlen. Diese Auffassung hielt an und sollte, als der Normierungswahn der EWG einsetzte, später auch Folgen für den Obstanbau in der DDR haben: Auch hier kam es aus wirtschaftlichen Gründen zu einer wahren Sortenarmut, die die wunderbare Welt der Apfelsorten einschränkte.

Womit wir nun wieder in die Gegenwart eintauchen: 1988 legte nämlich Thomas Bröcker, Gartenbauingenieur und Obstbauer, im Volkseigenen Betrieb in Markendorf einen Sortengarten an, um seinen Lehrlingen mehr als die Pflege des eingedeutschten Goldenen Delizius beizubringen.

Das einstige Ausbildungsprojekt hat nicht nur bis zum heutigen Tage überlebt – es lehrt immer noch, denn jedes Jahr erntet Thomas Bröcker mit seiner Lebensgefährtin Claudia Schernus neben den klassischen auch längst vergessene Apfelsorten, die in den Verkauf gehen. Oft handelt es sich dabei nur um wenige Kisten, denn Sorten wie der Hasenkopf wachsen nur an ein paar Bäumen. Darüber hinaus mögen viele altgediente Sorten sehr schmackhaft sein – nicht alle sind lagerfähig, und selbst ein Apfelafficionado wie Thomas Bröckers muss seine Ernte an den Mann und die Frau bringen.

In Berlin geschieht dies inzwischen über eine Außenstelle des Markendorfer Hofes, die „Apfelgalerie“: In der Schöneberger Goltzstraße steht Claudia Schernus’ Tochter Cathy im berauschendsten Duft der Stadt vor einer Auswahl schönster Brandenburger Äpfel, vertreibt geduldig Wespen und hat auf jede laienpomologische Frage eine Antwort. Der Städter geht heim mit Martens Sämling und plant den 23. September vor: Dann ist Sortengartentag im Damaschkeweg, und mit etwas Glück kommt er mit einer Rotgestreiften Schafsnase in Kontakt.

Apfelgalerie: Goltzstr. 3, 10781 Berlin, Mo.–Fr. 10–19, Sa. 11–15 Uhr. Sortengartentag in Frankfurt (Oder): 23. September, 10–16 Uhr, Damaschkeweg, gegenüber Waschanalage Zywitz; ca. 20 Min. mit dem Fahrrad vom Bahnhof.