Die gerechte Theologin

Mitte der 80er Jahre, auf der Höhe der tariflichen Auseinandersetzungen, hat Luise Schottroff es mit einem Satz sogar auf den Titel der Frankfurter Rundschau geschafft: „Jesus wäre für die 35-Stunden-Woche.“ Ein Satz, der programmatisch ist für die Arbeit der streitbaren Theologin.

Sozialgeschichte und Theologie gehörten für Schottroff unauflösbar zusammen. Sitzblockaden im Hunsrück vor den dort stationierten amerikanischen Raketen in den 1980er Jahren gehören ebenso zu ihrer Biografie wie Bibelarbeiten mit Dorothee Sölle auf den Kirchentagen.

Luise Schottroff wurde 1934 in Berlin geboren, sie stammte aus einer Familie, die sich in der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus gestellt hat. Ihr Vater war Pfarrer, ihre Mutter war von der Frauenbewegung geprägt. Nach dem Theologiestudium arbeitete Luise Schottroff als Assistentin an der Universität Mainz und habilitierte dort.

Christlich-jüdischer Dialog

In den späten 1960er Jahren hat sie dort die politisch engagierten Studierenden erlebt, die sie mit ihrer Begeisterung angesteckt haben. In diesen Gruppen war es verpönt, die Bibel ernst zu nehmen. Schottroff lehrte an den Universitäten Mainz, Kassel, Berkeley und New York, in vielen Studienzentren, auf dem Kirchentag, in Gemeinden. Zusammen mit ihrem Mann Willy Schottroff, der in Frankfurt Altes Testament lehrte, machte sie sich auf den Weg, die Bibel sozialgeschichtlich auszulegen. Ein Meilenstein war der 1970 vom Ökumenischen Rat der Kirchen verabschiedete Antirassismus-Beschluss.

Ihre Arbeit war zudem maßgeblich beeinflusst vom christlich-jüdischen Dialog. Ihr wissenschaftliches Leben hindurch hat Luise Schottroff daran gearbeitet aufzudecken, was es für christliche Theologien heute bedeutet, das Neue Testament als jüdische Schrift des ersten Jahrhunderts zu lesen.

Zudem war die feministische Theologie ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit von Luise Schottroff. Zusammen mit anderen gründete sie 1986 die European Society of Women in Theological Research (ESWTR) und hat damit ein Netzwerk geschaffen, das heute für Theologinnen aller Fachrichtungen unverzichtbar ist. Luise Schottroff gehört auch zu den Mitherausgeberinnen der Bibel in gerechter Sprache, die auch Überlegungen der feministischen Theologie und des jüdisch-christlichen Dialogs berücksichtigt.

Luise Schottroff ist am 8. Februar in Kassel nach langer Krankheit im Hospiz gestorben. Sie hinterlässt eine große Familie: ihren Sohn, Enkelkinder, SchülerInnen und FreundInnen.

CLAUDIA JANSSEN