Spa Session statt Hofgang

Die Eisentüren mit Guckloch blieben erhalten. Allerdings führen sie nicht mehr in eine spartanische Zelle. Im britischen Oxford wurde eine tausend Jahre alte Gefängnisburg zum Luxushotel

Burgbesichtigung „Unlocked – Oxford Castle“: 44–46 Oxford Castle / New Road, Tel. (0 18 65)26 06 66, Fax (0 18 65) 26 06 67, www.oxfordcastleunlocked.co.uk Hotel Malmaison: 3 Oxford Castle, Tel. (0 18 65) 26 84 00, www.malmaison-oxford.com, Visit Britain – Britische Zentrale für Tourismus, Dorotheenstr. 54, 10117 Berlin, Tel. (0 30) 3 57 19 42, Fax (0 30) 31 57 19 40, www.visitbritain.com

VON IZABELLA GAWIN
UND DIETER SCHULZE

Der gruselige Gefangenen- und der Schuldnerturm in der ehemaligen Oxforder Gefängnisburg können ab sofort besichtigt werden, ebenso die Krypta, in der einst Leichen neben Lebensmitteln lagerten. Von einem künstlich aufgeschütteten Hügel schaut man über die „Stadt der träumenden Türme“ (Matthew Arnold) bis weit ins anmutig gewellte Umland. Die Gefängniszellen des Haupttrakts werden heute wieder bewohnt – unter dem Namen „Malmaison“ (Böses Haus) entstand ein luxuriöses Viersternehotel. Freilich muss man tief in die Taschen greifen, um sich den Kitzel ausmalen zu dürfen, wie es den einstigen Insassen ergangen sein mag.

Im „Visitor’s Room“, in dem die Familien auf ihre internierten Angehörigen trafen, befindet sich heute die Rezeption: schwarz gestylt und mit Fackeln erleuchtet, das Personal darin geschult, dem Gast jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Seinen Schrecken verloren hat auch die dreistöckige Halle mit ihren in Reih und Glied angeordneten Zellen. Weicher Teppichboden schluckt jeden Laut, statt strenger Wächter mit rasselnden Schlüsselketten durchkämmt eine Heerschar weiß geschürzter Putzfrauen den Flur. Die beängstigend schmalen Eisentüren mit Guckloch blieben erhalten. Allerdings führen sie nicht mehr in eine spartanische Zelle, sondern in ein großzügig angelegtes Zimmer, dessen nackte Ziegelwände mit rotem Brokat verhängt sind und in dem Hightech für modernen Wohnkomfort sorgt. Statt karger Kantinenkost gibt es für die Insassen Schlemmermenüs, statt obligatorischen Hofgangs stehen Spa Sessions auf dem Programm. Und damit Malmaison mit seiner Eleganz nicht allein steht, wurden um die Burg hohe Wälle gezogen, in die Boutiquen, Cafés und Restaurants einzogen. Eine Galerie zeigt moderne Kunst, ein Theater führt im Hof Shakespeare-Dramen auf.

„Wenn Sie klaustrophobische Anwandlungen haben oder schlecht zu Fuß sind, bleiben Sie lieber unten!“ Über halsbrecherisch enge Stufen geht es den Rundturm hinauf, auf halber Strecke hält die Burgführerin inne: „Hier lebten 60 Gefangene dicht gedrängt, manchmal Monate, oft sogar Jahre. Ihre Notdurft verrichteten sie an Ort und Stelle, sodass man knöcheltief in menschlichem Unrat versank.“ Und sie spricht vom eisernen Wassertank, der bedrohlich über den Köpfen der Gefangenen schwebte; er galt ihnen als Segen, waren doch die herunterfallenden Tropfen oft die einzige Flüssigkeit, die sie im Laufe eines langen Tages zu sich nahmen. Viele derer, die in der Burg einsaßen, warteten auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Es waren Mörder, aber auch politische Dissidenten, rebellierende Gelehrte und Ketzer. Die meisten Frauen waren wegen Kindstötung inhaftiert – auch darauf stand die Höchststrafe.

Das Schicksal der 22-jährigen Anne Green, die am 14. Dezember 1650 hingerichtet wurde, sorgte im ganzen Königreich für aufgeregte Diskussion. Nachdem ihr Körper eine halbe Stunde am Galgen hing, wurde er abgenommen und zwecks anatomischer Studien zu Oxfords Ärzten gebracht. Diese freilich staunten nicht schlecht, als sich die Frau zu regen begann und trotz der Kolbenschläge, die ihr der mitgereiste Henker verpasste, nicht zu sterben bereit war. Die wundersame „Wiederauferstehung“ brachte Anne Green die Freilassung ein – den bereitgestellten Sarg durfte sie als Trophäe mit nach Haus nehmen.

Tausende von Insassen wurden in der Burg hingerichtet, bevor 1863 die Todesstrafe endlich abgeschafft wurde. Das Gefängnis blieb freilich bis 1996 erhalten – erst dann wurde die letzte Zelle geschlossen. Als die Queen am 5. Mai 2006 Oxford besuchte, zog sie einen endgültigen Schlussstrich unter „Her Majesty’s Prison“, das seit dem Jahr 1071 gefürchtete „Gefängnis Ihrer Majestät“.

Für knapp 12 Millionen Euro aus der britischen Lotterie-Stiftung war zuvor die Burg restauriert und als Kern eines neuen Einkaufs- und Kulturzentrums herausgeputzt worden – eines der ehrgeizigsten Bauprojekte der Nachkriegszeit.

Die Burgführerin berichtet, dass auch Gäste aus früherer Zeit das neue, nun offene „Gefängnis“ besuchen: „Sie steigen hinauf auf den Turm, um von oben, aus dem Blickwinkel der Freiheit, auf jene Zelle zu blicken, in der sie so lange eingeschlossen waren.“