Schlacht um den See

GRRR Militante Nordic Walker und Herrchen: ein Hundespaziergang um den Schlachtensee

Die Größe menschlicher Zivilisation bemisst sich seit jeher am Grad ihrer Naturnähe. Am Saum der Wildnis lässt sich deren Zähmung durch den wirkenden Geist der Vernunft am besten darlegen: Der Mensch ringt mit dem finsteren Grunewald und seinen sinistren Bewohnern. Er baut Wege, verarbeitet Bäume zu soliden Sitzbänken – und er macht sich den Wolf, diesen König des Waldes, zu seinem Untertan. Dieser zerrt heute knurrend an der Leine seines Frauchens oder eben auch nicht an der Leine. Denn der Mensch ist erstens menschlich und zweitens Berliner und kennt die Regeln ohnehin lieber nicht so genau.

Wie so oft in diesen zivilisierten Zeiten soll sich das nun ändern, und nicht nur das: Ganz von der Uferfläche des Schlachtensees verschwinden sollen Hunde, so der Bezirk. Und sorgt damit für Genugtuung bei HundegegnerInnen und Widerstand von HundebesitzerInnen. Längst tobt in Zehlendorf ein Krieg, der nun von oben entschieden wird. Spaziergang zwischen den Fronten.

Schlachtensee Südufer, Dienstagmittag: Da, unter den hohen Kiefern, schon wieder einer dieser freilaufenden Hunde – und das, obwohl hier die Leine für den Vierbeiner schon lang Pflicht ist. Border Collie Gustav, gepflegtes beige-weißes Fell, ist unterwegs mit seinem Frauchen, ganz in auftoupiertem Violett. Beide kümmert kaum, was viele hier so aufregt: HundehalterInnen, die hier ihre Hunde von der Leine – und sogar im See schwimmen lassen. Die Dame redet sich raus, es stehe hier gar kein Schild mit einem Hinweis. Das stimmt. Auf dem Weg von der S-Bahn-Station zum Ufer sucht man vergebens nach Information. Dass sie hier nun bald gar nicht mehr Gassi gehen darf, findet sie „vollkommen überzogen“ und setzt nach: „Fahrräder sind schlimmer.“ Auch heute habe sie die „Attacke“ eines Joggers ereilt, der habe ihr hinterhergerufen: „Hier herrscht Leinenzwang.“ Die Mittfünfzigerin lässt durchblicken: Hinter ihrer vermeintlichen Unkenntnis steckt der Trotz gegenüber der neuen Politik – sie zeigt auf den sich über die Wiese rollenden Gustav: „Bei so viel Lebensfreude müsste doch jedem das Herz aufgehen!“

Hundeschiet überall

Das vitale Rentnerpärchen in Jack-Wolfskin-Jacke und nagelneuer Nordic-Walking-Ausrüstung ist über die Lebensfreude der Vierbeiner anderer Meinung: „Dass sie einen anspringen, ist das Mindeste.“ Sie schimpfen über „Hundeschiet überall“. Manche HundehalterInnen reagierten geradezu unverschämt auf Hinweise, „mit ihnen zu reden hat keinen Zweck“. Das Einzige, was gegen sie helfe: „Es muss wehtun“, sagt der Mann mit fester Stimme. Zur Not auch mit dieser Maßnahme. Verordnung gegen Hund, Mensch gegen Mensch.

Doch es gibt auch Menschen wie Frank Kuehn, die an Frieden und Ordnung glauben. Oben, an der Böschung zum Bahnhof, steht er, schwarzer Hut, schwarze Lederjacke, schnittige Sonnenbrille – seinen Beagle Benji hat er fest an der Leine. Er kenne den Schlachtensee auch als Jogger, daher verstehe er deren Kritik an den Hunden: Er will die neue Verordnung verhindern – aber auch, dass der Leinenzwang besser kontrolliert werde. Mit seiner Petition gegen die Verordnung will Kuehn den Streit „im Sinne aller Beteiligten“ beilegen. Und dennoch, zur Not will er gegen den Bezirk klagen: für die Ordnung des Natürlichen und das Recht ihrer Bezwinger. TOBIAS KRONE