Flatulenz wird Furz

FREMDSPRACHE Medizinstudenten übersetzen auf der Webseite „Was hab’ ich?“ Ärzte-Latein in einfache Sprache. Die bessere Kommunikation kann laut einer Studie sogar Selbstheilungskräfte aktivieren

Als Heinz Müller* aus den Elbe Kliniken in Buxtehude entlassen wurde, bekam er zum Abschied einen Brief. Auf mehreren Seiten erklärten die behandelnden Ärzte darin die Ursachen für seine Knieschmerzen – in unverständlichen Worten – Patellae, Ligamentum, Distorsion. Dieses Ärzte-Kauderwelsch habe ihn doch etwas beunruhigt, sagt Müller. „Im Prinzip war es keine schlimme Diagnose.“ Statt eines Knorpelschadens habe er nur eine Überanstrengung und einen Seitenbandriss im Knie gehabt, erinnert sich der Hobby-Läufer. Um das herauszufinden, brauchte er jedoch einen Übersetzer. Diese Hilfe bietet das Internetportal „Was hab’ ich?“.

Auf der Webseite können Patienten ihre Befunde und Arztbriefe einschicken und diese in eine verständliche Sprache übersetzen lassen. Gegründet wurde die Online-Plattform von Johannes Bittner und zwei befreundeten Medizinstudenten.

„Mit Beginn meines Studiums wurde ich immer mehr zum Ratgeber für Freunde und Verwandte“, erinnert sich Bittner. „Sie fragten mich vor allem nach medizinischen Begriffen und der Bedeutung von Diagnosen.“ Der Bedarf nach kompetenter Beratung sei offensichtlich gewesen. In Patienten-Foren machten die jungen Mediziner Werbung für ihre Idee. Die Resonanz war überwältigend. Bereits nach zwölf Minuten kam die erste Anfrage.

Knapp vier Jahre später übersetzen mehrere Hundert Medizinstudenten höheren Semesters, aber auch Chefärzte und Spezialisten ehrenamtlich das Mediziner-Latein. Die Patienten können ihre Befunde anonym und kostenlos hochladen oder faxen.

Innerhalb weniger Tage werden die Arztbriefe in verständliche Worte übersetzt. Zum besseren Verständnis bekommen die Patienten wichtige Zusatzinformationen, wie zum Aufbau des Knies oder der Funktion von Organen. Am Ende ist ein übersetzter Arztbrief oft doppelt so lang wie das unverständliche Original. Nur Interpretation und Behandlungsempfehlungen gibt „Was hab’ ich?“ nicht.

Doch die Übersetzung allein helfe den Patienten schon weiter, sagt Bittner. „Sie können ihre Diagnose besser einschätzen und beim nächsten Arztbesuch gezielter nachfragen.“

Bislang ist die Kommunikation mit den späteren Patienten ein blinder Fleck in der medizinischen Ausbildung. Statt verständlicher Alltagssprache wird im Studium höchstens das Überbringen von schweren Diagnosen oder der Umgang mit Angehörigen thematisiert.

Erste zaghafte Schritte in eine andere Richtung unternimmt die Technische Universität Dresden. Dort ist „Was hab’ ich?“ inzwischen ein Wahlpflichtfach für Medizinstudenten. „Wir zeigen dabei anhand von Fallbeispielen, wie Ärzte ihren Patienten Befunde gleich so erklären können, dass sie alles verstehen“, sagt Bittner.

Auch am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wird Studenten und Ärzten die Fachsprache im Umgang mit Patienten abtrainiert. „Im Klinikalltag spricht man oft im Fachlatein vor sich hin, sagt die Assistenzärztin Judith Overhoff. „Durch den Kurs denke ich stärker über meine Sprache nach.“ Inzwischen engagiert sich Overhoff sogar als Übersetzerin bei „Was hab’ ich?“.

Wie wichtig eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation ist, zeigte 2009 eine Überblicksstudie aus den USA. Kelly Haskard Zolnierek von der Texas State University stellt darin fest, dass Patienten, die sich von ihrem Arzt schlecht beraten fühlen oder Teile der Diagnose nicht verstanden haben, deutlich häufiger ihre Therapie abbrechen. Fühlen sich die Patienten dagegen unterstützt, erleichtere das ihre Behandlung und aktiviere sogar Selbstheilungskräfte.

Eine Erfahrung, die auch Overhoff schon gemacht hat: „Wenn ich dem Patienten die Behandlung genau erkläre, nimmt das unnötige Ängste und entspannt die Situation ungemein.“ Durch die einfachere Sprache sei der Arzt auf Augenhöhe – weniger Halbgott in Weiß.  BIRK GRÜLING

*Name geändert