Ein Aspirin, bitte!

FAKE? Tagelang empört sich Deutschland über einen griechischen Mittelfinger. Dann gibt Jan Böhmermann die Videofälschung zu. Das soll wiederum Satire sein. Was denn nun?

Letztlich ist es egal, welche Version stimmt. Die Wahrheit ist nicht immer relevant, auch wenn das gerade für Medienmenschen schwer auszuhalten ist

VON PAUL WRUSCH

Man bekommt Kopfschmerzen. Zweifelt plötzlich an allem. Fake? Oder Fake eines Fakes? Medien-Coup? Oder Medien-GAU? Oder beides? War der Mittelfinger von Varoufakis echt? Hat ihn ZDF-Moderator Jan Böhmermann gefälscht? Oder ist die Fälschung falsch? Es bleibt Verwirrung – und einige wichtige Erkenntnisse über Medien, Recherche, Aufmerksamkeit und Erregung. Aber der Reihe nach.

Tagelang diskutierte Deutschland über den Stinkefinger, den Griechenlands neuer Finanzminister Yanis Varoufakis Deutschland gezeigt haben soll. Am Sonntag zeigte ARD-Talker Günther Jauch den Ausschnitt von einem Auftritt von Varoufakis beim kroatischen Subversive-Festival 2013. Darin war der Grieche zu sehen, wie er während seiner Rede den Mittelfinger emporhob und sagte: „and stick the finger to Germany“. Die Runde war empört, Varoufakis selbst auch. Er beteuerte, der Clip sei gefälscht, den Finger habe er nie gezeigt. Doch kaum jemand glaubte ihm. Er wurde als Lügner beschimpft, Experten analysierten das Video und erklärten dessen Echtheit, Augenzeugen wurde gesucht, Textpassagen interpretiert. Für die Mehrheit war klar: Der Finger ist echt.

Mittwochabend dann die sensationelle Wendung. ZDF-Moderator Jan Böhmermann veröffentlichte einen Vorab-Ausschnitt seiner Sendung „Neo Magazin Royale“. Eine Art Making-of der Videofälschung. Er behauptet, seine Redaktion habe Anfang Februar das Video – ohne Stinkefinger – gefunden, Kontakt zu den Organisatoren des Festivals aufgenommen und mit ihnen den Coup geplant. Mit einem Schauspieler sei der Finger nachgestellt worden, Videoschnitt-Experten hätten ihn eingebaut, das Video in kompletter Länger bei YouTube hochgeladen. Der Rest habe sich von selbst entwickelt. Zu sehen ist die Mittelfinger-Szene in Böhmermanns Video mehrfach. Mal ganz ohne Finger, mal mit dem Zeigefinger. Täuschend echt. Original oder Fälschung? Keiner weiß es.

Es spricht einiges für Böhmermanns Version der Geschichten. Das Video wurde erst vor vier Wochen hochgeladen, der Kameramann von damals erwähnte Böhmermann bereits vor drei Tagen im Reuters-Interview.

Doch es spricht auch viel für das Gegenteil. Böhmermanns Sendung läuft erst Donnerstagabend. Löst er darin die Story auf, wird sie zum #varoufakefake oder bleibt sie #varoufake? Das ZDF teilte Donnerstagmittag mit: „Die Redaktion hat die Debatte über das Varoufakis-Video nach der Ausstrahlung in der Jauch-Talkshow satirisch zugespitzt.“ Ist das die Auflösung? Spricht das für den Fake-Fake? Kann man dem ZDF noch glauben? Am Donnerstag rätseln alle.

Letztlich ist es aber egal, welche Version stimmt. Die Wahrheit ist nicht immer relevant, auch wenn das gerade für Medienmenschen schwer auszuhalten ist, es ihnen Kopfschmerzen bereitet, ist es doch ihre Aufgabe, die Wahrheit zu finden.

Die grandiose Aktion hält uns allen einen Spiegel vor. Sie zeigt, wie einfach die mediale Erregungsspirale heute in Bewegung zu setzen ist. Wie schnell sich Journalisten lieber auf Nebensächlichkeiten wie einen Stinkefinger stürzen, als über die wahren und komplexen Probleme der Eurokrise zu berichten. Ein Mittelfinger ist eben eindeutiger einzuordnen als Hilfspakete und Schuldenschnitte.

Böhmermann zeigt auch, wie gerne Medien Worte, Sätze, Gesten aus dem Zusammenhang reißen und ihnen so Bedeutung zu verleihen versuchen. Wie schwierig es ist, Hintergründe und Fakten auf Basis von Bildern und Videos zu recherchieren. Der Satiriker kennt die Medienlandschaft, die Mechanismen dahinter sehr gut und weiß, wie er sie für sich nutzen kann. Das hat er mehrfach bewiesen. Für seine Finger-Aktion – egal ob Fake oder Fake-Fake – gebühren ihm Dank, Ehre und eine tiefe Verbeugung.