Konsens statt Konflikt

Das Schweizer Konkordanzprinzip ist weltweit einzigartig. Es gilt das Prinzip der direkten Demokratie, Mitbestimmung der BürgerInnen wird großgeschrieben

GENF taz ■ Das Schweizer Politiksystem ist einzigartig nicht nur in Europa, sondern weltweit. Statt des in anderen parlamentarischen Demokratien klaren Gegenübers zwischen Regierung und Opposition gilt in der Schweiz das Konsensprinzip. Eine hohe Zahl an Gruppierungen wie Parteien, Verbänden und Minderheitenvertretern ist am politischen Prozess beteiligt.

Alle vier Jahre werden die beiden Kammern des Berner Bundesparlaments neu gewählt: der Nationalrat mit 200 direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten sowie der 46-köpfige Ständerat mit je zwei ebenfalls direkt vom Volk gewählten VertreterInnen der 26 Voll- und Halbkantone.

Die 246 Abgeordneten der gemeinsamen Versammlung von Nationalrat und Ständerat wählen anschließend mit absoluter Mehrheit die Mitglieder des Bundesrates, der siebenköpfigen Regierung. Dabei erhalten nach einer Anfang des 20. Jahrhunderts festgelegten Formel die drei stärksten Parlamentsfraktionen jeweils zwei Regierungssitze und die viertstärkste einen Sitz. Die sieben gewählten Bundesräte aus den vier stärksten Parteien treffen die Regierungsentscheidungen gemeinsam. Ein Staatsoberhaupt oder einen Regierungschef sieht die Verfassung nicht vor.

Bis zur Wahl 2003 stellten die Sozialdemokraten (SP) die stärkste Fraktion, gefolgt von der Schweizer Volkspartei (SVP), der wirtschaftsliberalen FDP und der Christlichen Volkspartei. Seit den Wahlen vor vier Jahren liegt die SVP vor der SP. Die Grünen als fünftstärkste Partei sowie weitere Kleinparteien haben nach diesem Modell keine Chance auf Regierungsbeteiligung.

Dieses Konkordanzsystem hat dazu beigetragen, dass die Schweiz seit Jahrzehnten eine der stabilsten Demokratien ist. Es funktioniert in Verbindung mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten für das Volk. Auf allen politischen Ebenen – ob Kommune, Kanton oder Bund – sind zu ausnahmslos allen politischen Fragen Referenden möglich. Auf Bundesebene genügen schon 50.000 Stimmen, um eine Volksabstimmung über ein Gesetz zu erzwingen.

Mit dem gestern verkündeten Regierungsauszug der stärksten Partei SVP – deren im Bundesrat verbleibende Mitglieder Schmid und Widmer-Schlumpf künftig als „fraktionslos“ gelten – ist das Konkordanzsystem in Frage gestellt. ANDREAS ZUMACH