U–Bahn–Schütze straffrei

■ Bernhard Goetz von der Anklage des Mordes freigesprochen / Gegen Kaution auf freiem Fuß

Berlin (taz) - „Haste mal fünf Dollar?“ Für vier schwarze New Yorker Schnorrer endete diese Frage am 22.Dezember 1984 im Krankenhaus. Statt das Geld rauszurücken, schoß der Gefragte - zweimal mit normalen, dreimal mit Dum–Dum–Geschossen. Drei der Opfer sind inzwischen genesen, einer bleibt sein Leben lang querschnittsgelähmt und geistig behindert. Der weiße Schütze hingegen wird als Held gefeiert, der „tat, was getan werden mußte“. Am Dienstag entschied die zwölfköpfige Jury im Revisionsverfahren gegen den „U–Bahnschützen“ Bernhard Goetz, den 39jährigen Elektronikspezialisten, von der Anklage des versuchten Mordes freizusprechen. Lediglich des unerlaubten Waffenbesitzes wurde er für schuldig befunden. Das Urteil soll am 4.September verkündet werden. Bis dahin ist Goetz gegen eine Kaution von 50.000 Dollar auf freiem Fuß. Die Schüsse in der U–Bahn hatten in den USA eine hitzige Diskussion über das Recht auf Selbstverteidigung und seine Grenzen, aber auch über den schwelenden Rassismus ausgelöst. Goetz hatte behauptet, daß die vier jungen Männer ihn in dem U–Bahnwaggon drohend umringt hätten. Als einer von ihnen fünf Dollar wollte, habe er an einen Raubversuch geglaubt und seinen Revolver gezogen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft handelte Goetz hingegen nicht als Opfer eines Raubüberfalls, sondern als kaltblütiger, psychisch gestörter Killer. Für diese Version spricht eine Videoaufzeichnung, in der er damals zugab, daß er die vier Jugendlichen töten wollte. Die zwölf Geschworenen - zehn Weiße und zwei Schwarze - hielten das Geständnis für das eines gebrochenen Mannes. Drei der vier Angeschossenen waren als Zeugen geladen. Sie erwiesen sich jedoch nicht als sehr hilfreich. Während einer die Aussage verweigerte, um sich nicht selbst zu belasten, beschimpfte ein anderer den Richter und den Verteidiger und bestärkte bei den Geschworenen den Eindruck, er sei gefährlich. Der Geschworene Michael Axelrod faßte die Stimmung während der 32stündigen Urteilsberatung zusammen: „Diese jungen Männer waren brutal. Und die Leute in der U– Bahn hatten Angst. Es kommt nicht so häufig vor, daß jemand um fünf Dollar bettelt. Goetz mußte befürchten, daß er ausgeraubt oder angegriffen wird. Deshalb schoß er einfach den Revolver leer.“ Goetz Nachbarn sehen das ähnlich. Arthur Morganstein, der die Neuigkeit im Radio hörte und mit seiner Frau Bea sofort zu der Wohnung des gefeierten Rächers eilte, um ihn zu beglückwünschen, ist „nicht hundert–, sondern tausendprozentig erfreut. Sie sind wie ein Rudel Wölfe und dachten, er wäre das Lamm.“ Michael Fischer