Zinsstreik zuende - Brasilien zahlt wieder

■ Vorläufiges Abkommen mit Gläubigern vereinbart / Verhandlungen mit IWF zugestimmt

Von Gabriela Simon

Brasiliens Gläubiger können aufatmen. In einem am letzten Donnerstag vereinbarten vorläufigen Abkommen verpflichtet sich Brasilien, Zinsrückstände in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar, die sich seit Beginn des brasilianischen Zinsmoratoriums im Februar angehäuft haben, zu begleichen. Die Gläubigerbanken werden dafür drei Milliarden Dollar an kurzfristigen Krediten bereitstellen, den Rest von 1,5 Milliarden muß Brasilien selbst finanzieren. Darüberhinaus erklärte sich die brasilianische Regierung bereit, mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Wirtschaftsplan zu verhandeln. Mit diesem kurzfristig angelegten Abkommen sollen die ins Stocken geratenen Umschuldungsverhandlungen über rund 70 Milliarden Dollar brasilianischer Bankschulden überbrückt werden. Die Zeit drängte schon seit dem 27. Oktober. An diesem Tag hatte die Sitzung der US–Aufsichtsbehörde begonnen, und es mußte darüber entschieden werden, ob die Brasilien–Kredite der US–Banken nach über einem halben Jahr ausbleibender Zinszahlungen als „minderwertig“ herabgestuft werden. In diesem Fall müßten die Banken ihre Brasilien–Kredite zwangsläufig um 10 bis 15 Prozent abschreiben. Nach den Erschütterungen durch das weltweite Börsendesaster wäre das für die US– Banken ein harter Schlag gewesen. Auch die US–Regierung hatte sich unter dem Eindruck des Börsenkrachs fieberhaft um die Abwendung eines weiteren Finanzdesasters an der Schuldenfront bemüht. Das jetzt vereinbarte Überbrückungsabkommen geht auf einen Vorschlag des Federal Reserve Board zurück, der allerdings um ein wesentliches Element zugunsten der Banken erweitert wurde: die Zusage der brasilianischen Regierung, ihre Wirtschaftspolitik mit dem IWF abzustimmen. Offensichtlich waren die Banken nur unter dieser Bedingung bereit, ihre drei Milliarden an kurzfristigen Krediten beizusteuern. In welcher Form Brasilien mit dem IWF übereinkommen muß, wird noch Gegenstand der Verhandlungen sein. Sollte daraus aber tatsächlich ein formelles Abkommen mit dem IWF werden, dann wäre Brasilien in einem zentralen Punkt gescheitert: Neben der Forderung nach einer effektiven Entlastung beim Schuldendienst war die Weigerung Brasiliens, sich den Rezepten des IWF zu unterwerfen, ein zentraler Konfliktpunkt, in dem sich Brasilien mit Hilfe des Zinsmoratoriums gegenüber den Gläubigerbanken durchzusetzen versuchte. Das Bild einer bevorstehenden brasilianischen Niederlage rundet sich ab, wenn man bedenkt, daß weder der Abbruch des Zinsmoratoriums noch die neue Kompromißbereitschaft gegenüber dem IWF an handfeste Zugeständnisse der Gläubiger in den Umschuldungsverhandlungen gekoppelt waren. Mit dem weltweiten Börsendebakel haben sich jedoch die Rahmenbedingungen der Verhandlungen schlagartig verschlechtert: Dem brasilianischen Finanzbedarf von über zehn Milliarden Dollar bis Ende 1989 stehen durch die Finanzkrise angeschlagene Gläubigerbanken gegenüber. Auch die hochgeschraubten Erwartungen, den brasilianischen Schuldenberg durch swap–Geschäfte (Umtausch von Schulden in Unternehmensbeteiligungen) und durch die Umwandlung in Staatsanleihen abbauen zu können, dürften nach den Kursstürzen fürs erste verflogen sein. Solche Tauschgeschäfte waren vor allem durch weltweit boomende Wertpapierbörsen attraktiv geworden, die die Möglichkeit boten, Aktien oder Staatsschuldscheine wieder zu verkaufen. Nach den an den lateinamerikanischen Börsen teilweise noch jäheren Kursstürzen als in der Wallstreet ist auch diese Verhandlungsmasse zusammengeschrumpft. Am meisten Kopfschmerzen muß jedoch die Frage bereiten, wie Brasilien in Zukunft eigentlich die für die Zinszahlungen benötigten Devisen verdienen soll. Im wichtigsten Exportmarkt USA steht der Kampf gegen das wachsende Außenhandelsdefizit auf der Tagesordnung. Und die sich anbahnende weltweite Rezession wird nicht nur die Absatzmärkte in den übrigen Industrieländern schrumpfen lassen, sondern auch den Verfall der internationalen Rohstoffpreise beschleunigen.