Im Filterbecken wachsen die Birken

■ Im Wasserwerk auf dem Werder wurde früher Weserwasser trinkbar gemacht / Jetzt kommt dort feines niedersächsisches Grundwasser an / Es wird gespeichert und dann in die Stadtteile gepumpt / Falken nisten im hohen Wasserturm

In riesigen, runden Tanks wird das Trinkwasser der BremerInnen bereitgehalten. Boden und Wände sind grün gestrichen. Ein Betontreppe mit Edelstahlgeländer führt hinunter in die klare Flut, aus der einmal Tee- oder Abwaschwasser werden wird. Am Treppengeländer haftet ein zarter brauner Schimmer. Auf dem grünen Boden hat sich schwarzbrauner Belag abgesetzt: Mangan und Eisen, das mit dem Grundwasser aus der niedersächsischen Boden gepumpt wird. Einmal im Jahr werden die vier Reservetanks auf dem Bremer Stadtwerder gereinigt. Mit einer Mischung aus Salzsäure und Vitamin C wird der Belag von den Wänden und Böden gespült.

Filter gegen Cholera

Das Wasserwerk der Bremer Stadtwerke liegt „Auf dem Werder“, also mitten in der Stadt. Sein Wahrzeichen: die „umgedrehte Kommode“, der 115 Jahre alten Wasserturm. Als er gebaut wurde, trank Bremen aus der Weser. Weserwasser wurde in „Langsam-Filter-Anlagen“ geleitet. Das sind große Becken, angefüllt mit Sand, grobem Kies und Steinen. Beim Sickern durch die Sände blieben gefährliche Krankheitserreger hängen. Cholera und Typhus, leicht übertragbar durch fäkalienverunreinigtes Trinkwasser, verloren zu Anfang unseres Jahrhunderts ihre Schrecken – auch dank dieser Sandbecken. 28 solcher Anlagen gab es auf dem Werder, fast alle sind heute noch zu sehen – leer. Kleine Birken wachsen in den Winkeln.

Denn: Diese Anlagen konnten Seuchen-Bakterien aus dem Weserwasser filtern, nicht aber den Wirtschaftsdreck, späterer Jahrzehnte. Im Kampf dagegen haben unsere Väter besonders nach dem zweiten Weltkrieg – mit weiteren Filtern und chemischer Aufbereitung die Koake trinkbar machen wollen. Von den Zinnen des alten Wasserturms kann man die Früchte ihrer Anstrengungen liegen sehen – als Ruinen. Denn seit 1983 ist auch der letzte Rest von Weserwasser aus dem Bremer Wasser verschwunden. Seitdem trinken die BremerInnen aus tiefen Brunnen, die in den Landkreisen Verden und Nienburg, sowie bei Wildeshausen gebohrt wurden. Bremen Nord versorgt sich aus Blumenthaler Grundwasser.

Pumpen-Steuern

Zwei Männer sitzen im Leitstand des Wasserwerks auf dem Werder. Tag und Nacht, auch an Sonn- und Feiertagen. Dann sind sie ganz allein im Wasserwerk, die Kollegen in der Werkstatt und im Labor sind nur an den Werktagen da. Die beiden Maschinisten haben die Hand am Puls der Bremer Wasserleitungen und sind dafür verantwortlich, daß das Wasser an jedem Hahn mit dem nötigen Druck ankommt. Das gröbste Kontrollmittel ist ein großes, alten Manometer über der Eingangstür. 5,8 bar zeigte es gestern vormittag, das ist der Druck, mit dem die Pumpen des Werks das Wasser in die Leitungen fördern. Wie wichtig dieses Manometer ist, hat die Besatzung sich auf plattdeutsch vor Augen geführt: „Kiek di dat an!“, appelliert ein Aufkleber unter dem Manometer ständig an die Aufmerksamkeit der Maschinisten. Wenn der Wasserverbrauch steigt, also der Druck im Leitungsnetz fällt, dann müssen die Maschinisten die Pumpen schneller laufen lassen. Gleichzeitig müssen sie den Füllstand der Reservetanks im Auge behalten: Die niedersächsischen Wasserwerke müssen rechtzeitig angewiesen werden, ihre Pumpen ebenfalls hochzufahren, wenn der Wasserverbrauch ansteigt.

Wie dramatisch sich die Lage ändern kann, zeigt ein Diagramm an der Wand: Während des Weltmeisterschafts-Endspiels von 1982 scheint ganz Bremen mit trockenem Mund und voller Blase vor der Glotze ausgehalten zu haben. Nach der ersten Halbzeit schnellte der Wasserverbrauch in die Höhe und sackte nach dem Anpfiff wieder ins Bodenlose.

„Malakow-Stil“, so fassen KennerInnen die architektonischen Merkmale des alten Wasserturmes zusammen. Namensgeber ist ein russischer Festungsbaumeister.

Die Wasser-Festung

Wie eine Zitadelle ragt das denkmalsgeschützte Gemäuer aus dem alten Baumbestand. Turmfalken und Krähen nisten in den Spitzbögen und Schießscharten. Durch einen der Ecktürme führen 200 Wendeltreppenstufen bis aufs Dach. Dort ruht auch der alte, genietete Wasserbehälter. Von hier aus strömte das Wasser früher ohne Pumpenhilfe in alle Bremer Häuser – nur durch das Gefälle. Pumpen brauchten die Wasserwerker aber dennoch, um das Wasser ins oberste Stockwerk des Turms zu hieven: Riesige, dampfgetriebene Kolbenpumpen, deren Schwungräder im Maschinenhaus zu Füßen des Turmes leise surrten. Ganz nutzlos ist der Wasserturm auch heute nicht: Sollten wegen Stromausfall alle Pumpen stehenbleiben, dann strömt aus seinen Tanks das Wasser in das Leitungsnetz und stabilisiert den Druck – jedenfalls fürs erste.

Michael Weisfeld