Noch gibt sich das US-Empire nicht geschlagen

Der zukünftige US-Verteidigungsminister John Tower spart nicht mit starken Worten vor dem Verteidigungsausschuß des US-Senats / Die Rüstungsspirale dreht sich weiter  ■  Von Michael Fischer

Berlin (taz) - Die Haushaltsmisere und Gorbatschows Abrüstungsinitiativen, so schien es noch vor kurzem, könnten die neue US-Regierung zwingen, Abschied zu nehmen von Reagans Großmachtträumen. Doch die Hoffnung trügt. Was von Bush und seinen Mannen wirklich zu erwarten ist? Die Antwort ist klar und deutlich: „Der kalte Krieg ist noch nicht beendet!“ Ungeachtet der sowjetischen Abrüstungsinitiativen will der designierte Pentagon-Chef John Tower an der Modernisierung der atomaren Kurzstreckenraketen und der nach eigenen Worten „gefährlichen“ Chemiewaffen festhalten. Vor dem Senat, der ihn dieser Tage im Amt bestätigen wird, erklärte Tower am Donnerstag: „Selbst wenn die Sowjetunion ihre Truppen, wie angekündigt, um zehn Prozent verringert, behält sie im konventionellen Bereich ein deutliches Übergewicht gegenüber der Nato“. Deshalb müßten auch die konventionellen Streitkräfte auf Vordermann gebracht werden.

Damit sind vor allem die europäischen Alliierten angesprochen, die nach Monaten des Laissez-faire während der Machtübergabe von Reagan an Bush wieder an die Kandarre genommen werden sollen: „Burden sharing“ (Lastenteilung) ist das Motto, unter dem auch die 26.Internationale Wehrkundetagung steht, die am Wochenende in München stattfindet. Tower wird dort die Marschrichtung der westlichen Allianz „für den zukünftigen Erfolg“ angeben.

Der neue Pentagon-Chef weiß, wovon er spricht, war er doch in der Anfangsphase von Reagans Amtszeit als Vorsitzender des Militärausschusses im Senat maßgeblich für den exorbitanten Ausbau der US-Streitmacht verantwortlich. Tower, nicht der damalige Pentagon-Chef Caspar Weinberger, übte sich in der Anfangsphase als Architekt von Reagans Rüstungswahn. Ironie der Geschichte: Er, der damals das Pentagon mit Dollars überschüttete, muß heute, nachdem er endlich selbst Chef der US-Rüstungsbehörde geworden ist, mit einem vom Kongreß verordneten Sparbudget auskommen.

Große Sorge bereitet den Bush-Mannen die Frage, wie mit den abgespeckten Ressourcen das ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, die schwindende Vormachtstellung der USA wiederherzustellen. Doch die findigen Pentagon-Strategen haben vorgesorgt. In aller Heimlichkeit stellten sie sich in den letzten Jahren auf die neue Situation ein und entwickelten eine Strategie, wie sie ihre militärische Vormachtstellung gegenüber der Sowjetunion halten und den Feind totrüsten können. „Im wesentlichen geht es uns darum, in den 90er Jahren einen direkten Druck auf die Sowjets ausüben zu können, um ihren Bewegungsspielraum einzuengen.“ Nach dem im führenden US-Rüstungsmagazin 'Aviation Week‘ zitierten Pentagon-Beamten sollen mit der sogenannten Wettbewerbsstrategie die Rüstungsbereiche vorangetrieben werden, in denen die USA führend sind.

Unter der neuen Doktrin soll die Rüstungsindustrie genau auf die Produktion von Waffen in diesen Bereichen ausgerichtet werden. Damit sollen die Sowjets gezwungen werden, sich auf die aufwendige Entwicklung von Systemen zur Abwehr der hochentwickelten Waffen zu konzentrieren. Der angestrebte Effekt: Die Sowjets würden eigene Rüstungsvorhaben vernachlässigen müssen und rüstungstechnologisch gegenüber den USA weiter zurückfallen.

Die meisten der neuen Waffen spielen eine wichtige Rolle im Rahmen des bereits vor Jahren von der Friedensbewegung attackierten „Deep-strike„-Schlachtplans der Nato. Mit raffinierten und schlagkräftigen modernen Waffensystemen soll im Falle eines drohenden Konflikts der gegnerische Aufmarsch schon weit im feind lichen Hinterland unterbunden werden.

Die neue US-Strategie steht in direktem Kontrast zu Gorbatschows Ankündigung, die Streitkräfte des Warschauer Pakts strukturell nicht angriffsfähig zu machen. Inwieweit das Pentagon seine aggressiven Pläne realisieren kann, hängt ab vom US-Kongreß - und von den westlichen Alliierten. Das Hauptproblem der Bush-Regierung, darauf wies der neue US -Sicherheitsberater Brent Scowcroft bereits letzte Woche hin, seien die Europäer, die von Gorbatschows Initiativen begeistert sind. Rechtzeitig vor Bushs programmatischer Rede am 9.Fe bruar stimmen seine Mannen das Publikum ein und lenken ab von wirtschaftspolitischen Problemen, für die sie keine Ant worten haben.