Zoff im Bündnis

■ Tour d'Europe des neuen US-Außenministers Baker

Der alte Kontinent ist in Bewegung: Westeuropa bereitet sich auf seine zukünftige Großmachtfunktion vor, Osteuropa versucht, Ballast abzuwerfen, um sich der drohenden wirtschaftlichen Umarmung erwehren zu können. Jenseits des Atlantiks werden diese Entwicklungen teils mit Interesse, teils mit Schrecken verfolgt. Denn auch die USA befinden sich im Umbruch. Noch streiten sich die Gelehrten allerdings, ob es sich dabei um einen Verlust der Hegemonie handelt oder lediglich um eine Anpassung der Weltmacht an veränderte Bedingungen. Realpolitisch wird derweilen mit Querschlägern wie der Libyenaffäre oder der „Modernisierungs„debatte operiert, um deutlich zu machen, wer noch immer Herr im Bündnis ist. Das Kalkül der Weltmacht -Strategen ist allerdings nicht ganz aufgegangen: Ihre Winkelzüge trafen weniger Genscher, dessen Regionalmacht -Politik in Washington schon seit einiger Zeit mißtrauisch beäugt wird, sondern ihren wichtigsten Verbündeten. Daß Reagan mit seiner Kritik auch Kohls Stuhl ansägte, bemerkte die neue US-Regierung erst nach der Wahl in Berlin. Deshalb muß Baker bei seinem Besuch jetzt erst einmal Scherben kitten.

Angesichts des Zoffs im Bündnis könnte Schadenfreude aufkommen. Immerhin sah Kohl sich aus innenpolitischen Gründen gezwungen, dem Druck der Verbündeten auf einen baldigen „Modernisierungs„beschluß standzuhalten. Eine endgültige Entscheidung möchte er gerne auf die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen im Dezember 1990 verschieben. Das Ganze ist jedoch eine Farce, denn die „Modernisierung“ ist schon in vollem Gange, wie Rüstungsgehilfin Thatcher bereits vor einem Jahr bekanntgab. Ist die US-Regierung nun wenigstens ihrem eigentlichen Ziel näher gekommen, die Annäherung zwischen Kohl und Gorbatschow unter Kontrolle zu halten? Die Antwort liegt bei dem Kremlchef. Im Frühsommer wird er in Bonn erwartet.

Michael Fischer