Pogrom in Usbekistan

Die lokalen Machthaber bedienten sich nationaler Ängste  ■ K O M M E N T A R E

Es hat noch nie Pogrome gegeben, bei denen nicht mindestens zwei Tätergruppen unterscheidbar gewesen wären: Die Organisatoren und Hauptbeteiligten einerseits und ein Mob, der mitmacht, andererseits. Immer war allerdings auch ein moralisch passives oder sympathisierendes Publikum Voraussetzung.

Der Mob findet sich immer; bei der passiven oder sympathisierenden Menge aber kann man nach der konkreten Problemlage und den politischen Stimmungen fragen. Die sind in Usbekistan vielfältig. Zunächst gibt es eine religiöse islamische Erneuerung, die sich gerade unter Studenten und Hochschulabsolventen verstärkt. Die im kasachischen Alma-Ata gegründete Bewegung „Islam und Demokratie“ erfaßt das ganze Gebiet des ehemaligen Turkestans. Ihr Symbol ist die grüne Fahne des Propheten. Sie will unter anderem die Wiedereinführung der arabischen Schrift. Ferner ist in Usbekistan eine nationale Volksfront namens „Birlik“ (Einheit) entstanden, die die Einführung des Usbekischen als Staatssprache fordert.

Ein „turkestanischer“ Zusammenhang zeigt sich dabei in der starken Unterstützung durch die kasachische Minderheit im Lande. „Birlik“ kümmert sich auch um die gravierenden Umweltprobleme, sie kämpft gegen die verheerende Baumwollmonokultur und setzt sich für die Rettung des Aralsees ein. Als echte Perestroika-Bewegung versucht sie aber auch mäßigend auf die Ressentiments, etwa gegenüber der iranisch-sprachigen tadschickischen Minderheit, einzuwirken.

Die nationale Problematik wird schließlich durch die gegenwärtige Umorientierung der sowjetischen Nationalitätenpolitik auf eine „Regionalisierung“ verstärkt. Die kleinen Nationen in der Sowjetunion, die bisher unorganisiert und fast stumm waren, sollen ihre Institutionen und nach Möglichkeit ihre Territorien erhalten. Zu diesen Nationen zählen unter anderem die Krim -Tartaren, die Polen, die Deutschen, aber auch die Meßcheten. In den Unionsrepubliken entsteht daher die Furcht, daß diese Regionalisierung die jeweils herrschenden Nationen im Interesse der Zentralmacht politisch schwächen könnte.

Diese Furcht hat auch unter den lokalen Machthabern in Usbekistan um sich gegriffen. Zur Zeit Breschnews war dort ein korrupter Machtfilz entstanden, der alle Apparate durchdrungen hat und dessen Übergang zu einer mafiösen Großkriminalität kaum noch als „fließend“ bezeichnet werden könnte. Bereits der unter Ligatschow unternommene Versuch, diese kriminellen Verfilzungen durch die Entsendung russischer Kader aufzubrechen, konnte nationalistisch abgewehrt werden. Die usbekischen Machthaber geißelten dies als Versuch imperialistischer russischer Einmischung. Der jetzige Pogrom nutzt diese nationalen Ängste aus. Wie bei anderen mafiösen Zusammenhängen kommt es offensichtlich auf Menschenleben nicht an.

Es wäre mithin falsch, den usbekischen Pogrom einfach als einen Konflikt zwischen Volksgruppen zu sehen. Er wurde geplant und organisiert. Tragisch dabei ist, daß sich Anliegen, die berechtigt sein können, in dieser barbarischen Weise verkehren lassen.

Erhard Stölting