Modell Polenmarkt

Bush als sparsamer politischer Handlungsreisender in Polen und Ungarn unterwegs  ■ K O M M E N T A R

Wenigstens braucht sich US-Präsident Bush nicht mit Gaudiburschen wie Waigel und Konsorten abzuquälen. Er kann sich als umsichtiger und sparsamer politischer Handlungsreisender betätigen. Aber so erfüllt er die Erwartungen in Polen und Ungarn nicht. Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen werden mit Liebesgaben belohnt, und die sind an Bedingungen geknüpft. Kredite sollen projektgebunden vergeben werden oder die Privatwirtschaft fördern. Voraussetzung war, daß in beiden Ländern das staatliche, das genossenschaftliche und das private Eigentum einander gleichgestellt wurden und daß heimische Unternehmen nun Ausländern gehören dürften.

Wenn es weder globale Schuldenerlasse noch direkte Subventionen für die Staatsapparate gibt, dann hat das gute Gründe. Die sozialistischen Planungsbehörden haben ihren Kredit in den siebziger Jahren im doppelten Wortsinne verspielt; und dazu gelernt haben sie bisher nichts. Trotz aller Reformen wanderte der Löwenanteil der staatlichen Investitionen und Subventionen bislang noch immer in unprofitable Sektoren wie Bergbau und Schwerindustrie. Weder ein Markt noch eine wirtschaftliche Vernunft konnten die sozialistischen Industrieherzöge daran hindern, ihr verheerendes Arbeitsbeschaffungsprogramm durchzuhalten.

Eine radikale Wirtschaftsreform wird die Schließung unrentabler Industrien, die Entlassung überflüssiger Arbeitskräfte - also vermehrtes Elend - voraussetzen. Bush hat in höflicher Form darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, „weitere Opfer“ zu bringen. Aber der Lebensstandard kann in Polen und Ungarn kaum weiter gesenkt werden, ohne die Reformen in politische Turbulenzen zu bringen. Auch die USA sind gegenwärtig nicht an Aufständen interessiert. Das setzt die westlichen Länder unter den Zwang, etwas zur Verbesserung der materiellen Lage in diesen Ländern zu tun, ohne die Reformen zu gefährden. Wie das geschehen könnte, weiß noch niemand so recht.

Ein wirksames - wenn auch allein nicht zureichendes Mittel wäre es, die bestehenden Handelshemmnisse zu beseitigen. Polnische und ungarische Waren könnten dann auf westlichen Märkten frei zirkulieren. Bei gleicher Qualität und erheblich niedrigeren Löhnen würde das die westliche Konkurrenz allerdings in Bedrängnis bringen. Wie man bei uns mit einem solchen Wettbewerb umzugehen bereit ist, hat der Polenmarkt in Berlin gezeigt.

Erhard Stölting