Politik der Nadelstiche gegen die Hafenstraße

Mehrheit im Hamburger Senat setzt auf gewaltsame Räumung nach dem SOG-Polizeigesetz / Juristische Niederlage der Stadt Polizeieinsätze und Werbeplakate an den Häusern sollen BewohnerInnen provozieren / Am Wochenende Sprengstoffanschlag auf ein Haus  ■  Von Kai v.Appen und O. Neß

Hamburg (taz) - Die alternative Häuserzeile an der St. Pauli Hafenstraße ist wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Spätestens seit SPD-Bürgermeister Henning Voscherau im April dieses Jahres das „Projekt“ für „gescheitert“ erklärte, vergeht keine Woche, wo nicht die HafensträßlerInnen die Schlagzeilen der Hamburger Medien bestimmen: entweder gilt es über angebliche Verfehlungen der BewohnerInnen zu berichten, oder die für Räumungsmodalitäten gegründeten „Hafensrand GmbH“ mit Chef Wolfgang Dirksen hat wieder zur juristischen Attacke gegen die Hafenrand -MieterInnen geblasen.

Insgesamt drei fristlose Kündigungen des Pachtvertrages, sieben Abmahnungen und eine Flut von Räumungsklagen liegen mittlerweile dem „Verein Hafenstraße“ und den Gerichten auf dem Tisch. In ihrem juristischen Kampf gegen die Hafenstraße hat die stadtstaatliche Hafensrand GmbH jedoch bislang wenige Erfolge zu verbuchen. Erst am Freitag erklärte das Landgericht Hamburg abermals den Pachtvertrag ausdrücklich für gültig. In der mündlichen Verhandlung betonten die drei Richterinnen überdies, daß sie zumindest zwei von drei fristlosen Pachtvertragskündigungen aufgrund formaler und inhaltlicher Mängel kaum Aussicht auf Erfolg einräumen. In beiden Klagen ging es um eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen BewohnerInnen und der Polizei im April dieses Jahres.

Lediglich der jüngste Vorfall, bei dem am 28.Juli von einem Polizisten scharfe Schüsse auf BesucherInnen der Hafenstraße -Kneipe „Onkel Otto“ abgefeuert wurden, halten die drei Frauen in der schwarzen Robe als mögliche Vertragsverletzung für überprüfenswert. Zwei Polizeibeamte hatten damals versucht, einen wegen einer 60-Mark-Verkehrsgeldbuße gesuchten Mann direkt vor den Häusern festzunehmen. Als sie dabei, so Augenzeugen gegenüber der taz, „von acht herumstehenden Personen“ umringt wurden, fühlten sie sich derartig bedroht, daß sie ihre Schußwaffen zogen. Ein Beamter, der auf den Kiez wegen seiner Ausländerfeindlichkeit als „Hitlerjunge“ tituliert wird, schoß viermal auf die vermeintlichen BewohnerInnen. Ein Projektil verfehlte nur um Zentimeter den Oberkörper eines Mannes.

Voscherau setzt jetzt auf die Radikallösung: die gewaltsame Räumung mit anschließendem Abriß nach dem Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG). Bereits bei der Räumung der sogenannten „Bauwagenburg“ am 26.Mai, das erfuhr die taz definitiv aus Regierungskreisen, waren im Rathaus die Weichen auf Sturm und sofortigen Abriß der Häuser nach dem Polizeigesetz gestellt worden. Doch die BewohnerInnen reagierten damals anders als erwartet. Trotz eines 13stündigen provokativen Polizeieinsatzes mit 25 Wasserwerfern, 2.500 BeamtInnen und schweren Räumpanzern fielen nicht, (O-Ton Senatsmitglied) „die von Voscherau erwünschten Steine“. Unverrichteter Dinge mußte die Polizeiarmee wieder abziehen.

Das hält Voscherau nicht davon ab, die gewaltsame Lösung weiter zu betreiben - auch in Kenntnis der Tatsache, daß die frühere Dohnanyi-Regierung die SOG-Lösung mehrfach als „rechtswidrig“ verworfen hatte. Und die Rechtslage hat sich seither nicht verändert. Nach Angaben von Regierungsinsidern kalkuliert der Jurist Voscherau bei einem solchen Schritt durchaus eine gerichtliche Schelte mit Schadensersatzzahlungen ein - doch dann ist die Häuserzeile platt gemacht, sind die Wahlen bereits gelaufen und die Hamburger Rechte befriedigt.

Daß der Hamburger SPD/FDP-Senat mehrheitlich keine politische Lösung anstrebt, belegt auch der Fakt, daß der Haushaltsausschuß der Bürgerschaft die Instandsetzungsgelder für Hafenstraße - die bislang lediglich blockiert worden waren - am Mittwoch letzter Woche aus dem Haushaltsplan gestrichen hat.

Und auch in diesen Tagen zeigt Dirksen, der von Bürgermeister Voscherau für Abwicklung der Räumung als Hafensrand-GmbH-Chef berufen wurde, für seine Aufgabe zumindest Einfallsreichtum. So tauchte er am letzten Mittwoch mit 700 Polizisten am Hafenrand auf, um zwei „GmbH“ -eigene Häuser angeblich auf ihre „Verkehrssicherheit“ zu überprüfen - wohlwissend, daß eine Begehung der Wohnungen nur mit der Einwilligung der MieterInnen möglich ist. Und diese wurde ihm natürlich promt verweigert, als er in Begleitung von Staatsschützern die Wohnungen durchstöbern wollte. Und auch die Polizei war nicht zum Zuge gekommen, weil wiederum die „erwünschten Steine“ nicht geflogen waren.

Und noch ein Clou ist in Vorbereitung. Dort, wo noch im Mai die Bauwagen standen, soll nun eine drei Meter hohe Holz -Stahlkonstruktion aufgestellt werden, um dort Werbetafeln anbringen zu können. An den Häusern, aus denen das Spekulantentum in der Stadt und die Konsumgesellschaft bekämpft wird, soll nach Dirksens Plänen demnächst Konsumgüterwerbung prangen.

Doch die HafensträßlerInnen, die bei den letzten Großeinsätzen durch politischen Weitblick und taktisches Fingerspitzengefühl die Eskalation verhinderten, zeigen auch in diesem Fall Kreativität: am Wochenende versahen sie die für Werbung vorgesehene Giebelwand - wenn auch unvollständig - mit einer gigantischen Wandmalerei, die jetzt von der Kulturbehörde als Kunstwerk geschützt werden soll.