Take Hartenhauer

Zur Wahl des neuen Oberbürgermeisters  ■ K O M M E N T A R E

Berlin hat einen neuen Oberbürgermeister. Doch allein die Umstände seiner Inthronisation sprechen für den desolaten Zustand, in dem sich Berlins Volksvertretung zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet. Den Abgeordneten, aus der Akklamationspflicht entlassen, scheint die Lust zum Regieren abhanden gekommen zu sein. Noch nie sah man im Roten Rathaus während einer Abgeordnetensitzung so viele leere Stühle. Und auch bei der schwierigen Frage, wer die Amtsgeschäfte nach dem lauwarmen Rücktritt Kracks bis zur Neuwahl weiterführen solle, zeigte man wenig Fantasie.

Nachdem Laurenz Demps Abgeordneten „schwere Strafen“ angedroht hatte für den Fall, daß jemand auf die Idee käme, ihn zu nominieren und Kracks Stellvertreterin mit Rücksicht auf ihre Familie nicht antreten wollte, zauberte man Dr. Hartenhauer aus der zweiten Reihe der alten Magistratsriege ins Rampenlicht. Offensichtlich glaubte man, mit dem schwergewichtigen Ökonomen einen Mann gefunden zu haben, der sich bei den bevorstehenden Verhandlungen mit dem Westberliner Senat von Momper nicht über den Tisch ziehen läßt. Demps auf die Frage der taz, warum ausgerechnet der belastete Kulturstadtrat Berlin in den Neubeginn führen soll, bemerkte lakonisch: „Kennen Sie einen anderen?“

Im Roten Rathaus ging man anscheinend davon aus, daß in den verbleibenden zwei Monaten bis zur Neuwahl der Stadtverordnetenversammlung das Funktionieren des Apparates wichtiger sei als die intellektuelle Repräsentanz der Stadt. So wählte man sich unter Anstrengung ein adäquates Aushängeschild. Warum allerdings die PDS zuließ, daß im Schatten ihres bunten Wahlparteitages aus den Reihen ihrer Mitglieder ausgerechnet dieser graue Riese von der Kulturbundfraktion auf den Stuhl des Stadtoberhauptes gesetzt wurde, bleibt unverständlich. Zumindest den gebrannten Kindern aus der Kulturszene wird nun das „Don't worry...“ schwerer über die Lippen kommen.

Andre Meier