„Jeder Gast ein Arbeitsplatz weniger“

■ Belegschaft in sechs Gaststätten streiken gegen Chef / Ex-SED-Mann will neuer Chef bleiben

Mitte. Vor dem Nobelrestaurant „Französischer Hof“ am Ostberliner Platz der Akademie - ehemals Gendarmenmarkt steht eine Menschentraube. Doch anders als noch vor kurzem, als Gäste demütigst um Einlaß baten, um dann vom Oberkellner „plaziert“ zu werden, stehen jetzt die Kellner selbst im Regen. „Wir, die Gastronomen vom Gendarmenmarkt, streiken“, steht auf einem Plakat. Draußen teilen die Kellner und Köche Flugblätter statt Lachscarpaccio aus. Ihre gemeinsame Forderung: „Der Abraham muß weg.“ Lothar Abraham, Manager des VEB aus insgesamt sieben Restaurationsbetrieben des gehobenen Standards in der Ostberliner City, soll nicht als neuer Geschäftsführer einer GmbH seine Karriere fortsetzen. Die Mehrheit der Belegschaft möchte das Ex-SED-Mitglied, von dem es heißt, er hätte früher jeden Morgen alle Gaststättenleiter zum Fahnenappell bestellt, in die Wüste schicken. „Lieber Mövenpick als den da“, meint ein junger Streikposten.

Daß der „Oberwendehals“ nun als GmbH-Geschäftsführer von sieben gutgeführten Restaurants erscheinen soll, will den Angestellten nicht in den Kopf. 27 von 270 MitarbeiterInnen hatte Abraham bereits entlassen, bevor vor sechs Tagen der „wilde“ Streik begann. Die Entlassenen seien willkürlich herausgesucht worden, so die Streikenden, unter ihnen befänden sich alleinerziehende Mütter und Behinderte.

Der Fall ist symptomatisch. Landauf, landab machen in der DDR die früher SED-angepaßten Direktoren und Geschäftsführer eine neue Karriere im Kapitalismus. „Unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zum Erfolg führen“ wolle er die Betriebe, versprach Abraham in einem Schreiben seinen aufmüpfigen Untergebenen. „Der guten Ordnung halber möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß ausschließlich ich am Monatsende Ihren Lohn zu bezahlen habe“, drohte er gleich hinterher. Die Streikenden draußen bleiben hart.

Drinnen im Lokal, zwischen Plüsch und Protz, herrscht gähnende Leere. Welcher Gast mogelt sich schon gerne an Streikposten vorbei ins Restaurant? Die, die nicht streiken, stehen im Gang vor der Anrichte, rauchen und schimpfen auf die da draußen. „Wir wollen uns selbst befreien aus dem Sumpf und nicht an irgendeinen Westler verscherbelt werden“, meint einer der Angestellten, der arbeitet, obwohl er eigentlich seinen freien Tag hätte. Die nicht-streikende Belegschaft -etwa 25 Prozent- hält den Betrieb aufrecht. Sie haben eine Notspeisekarte erstellt, die „Poulardenbrüstchen mit Spargel und Möhrenstiften, dazu Kartoffelkroketten“ zu 22,50 Mark offenbart. „Die da draußen machen unsere Zukunft kaputt“, meint eine resolute Endvierzigerin. „Was hier ist, haben wir selbst geschaffen. Hier, an einem der schönsten Plätze Europas, müssen wir keine Konkurrenz fürchten“, sagt einer der Arbeitenden, der mangels Gästen nichts zu arbeiten hat.

Auf einer Versammlung haben von 151 Anwesenden 147 für den Streik gestimmt. Hier waren viele gar nicht dabei. „Jetzt, wo wir das haben, wofür wir am 9.November gekämpft haben, machen die Streikenden uns alle kaputt“, so Dietmar Schüler, Geschäftsführer des „Cafe Rose“, einem der Abraham-Betriebe. Die Arbeitswilligen haben nichts gegen Chef Abraham, sie vertrauen ihm bei der Gestaltung der schwierigen Zukunft des „Französischen Hofs“ und der anderen Betriebe. Und in der SED seien schließlich viele gewesen, darunter auch mancher derjenigen, die jetzt draußen streikten. „Was hätte man damals denn sonst machen sollen“, heißt es lakonisch.

Dietmar Schüler vom „Cafe Rose“ zeigt in der Leipziger Straße hinter die Kulissen seines Betriebes. Der Backbetrieb war nie ausgelastet, deshalb beliefert man jetzt auch eigene Altersheime, um profitabler arbeiten zu können. Davon, daß er „seine Angestellten eingeschüchtert“ habe, will er nichts wissen. Im „Cafe Rose“ läuft der Betrieb normal, niemand streikt.

Draußen vor dem „Französischen Hof“ erzählen die Streikenden von enttäuschten Gästen, denen das Essen der Ersatzköche nicht gemundet habe. Vorbeifahrende Autofahrer erhalten ein Flugblatt mit der etwas kryptischen Aufschrift „Jeder Gast ein Arbeitsplatz weniger“. Wer bis gestern seine Arbeit nicht planmäßig wieder aufgenommen habe, bringe damit zum Ausdruck, daß er an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert sei, dies komme einer „Eigenkündigung“ gleich, heißt es drohend in einem Schreiben Abrahams an die Belegschaft vom Samstag. Illegale Arbeitsniederlegung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Erpressung bemüht der Chef in dem Schreiben, um seine Belegschaft zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen. Doch ob Abraham, der sich mal „Inhaber“, mal „Pächter“ nennt, wirklich der Chef ist, darüber entscheidet heute die Treuhand. Die Streikenden haben sich Rechtsbeistand geholt. Sie bezweifeln, daß bei der Umwandlung in eine GmbH alles mit rechten Dingen zugegangen ist. „Wir streiken, bis wir gewonnen haben“, so der junge Mann vor dem „Französischen Hof“.

Klaus Hillenbrand