Ein dicker Brummer

Sinopoli dirigierte die „Salome“ in der Deutschen Oper Berlin  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer

Diese Musik geht an die Nerven. Das ist bei Strauss fast immer so: Er macht Migräne. Je besser die Musik gespielt wird, um so sicherer die Wirkung — wenn das Orchester richtig gut ist, dann wird dem Hörer auch so richtig schön schlecht. Man kann nie genug davon kriegen.

Bei der neuen Berliner Salome hat Giuseppe Sinopoli dirigiert. Alle waren guter Dinge und wohlauf, nur die Ohren hinterher ein bißchen taub. Wahrscheinlich kam das von dem donnernden Applaus, der den Maestro am Ende umtoste — ja, schon gleich am Anfang, als er zum Pult eilte, haben ihn die Leute so reich mit Beifall überschüttet, daß er ebensogut den Stab weglegen und wieder heim hätte gehen können: Die Schlacht war im voraus gewonnen, der Abend ein Erfolg. Denn die Berliner lieben Sinopoli seit seinem Debut mit Verdis Macbeth vor zehn Jahren, und sie lieben ihn ganz besonders, seit er sich mit Generalintendant Götz Friedrich verkracht hat und nicht mehr Chefdirigent werden will in Berlin. Das gab im Sommer ein handliches kleines Opernskandälchen, höchst belebend für den Pausenklatsch — und das Orchester der Deutschen Oper hat das für diese Premiere per Presseerklärung extra noch einmal aufgerührt. So wurde aus dem Abend ein Fest für Giuseppe und eine perfekt inszenierte antifriderizianische Kundgebung zugleich.

Außerdem gab man die Salome von Richard Strauss. Das Stück hat keine Pause, was auch unvermeidlich ist (obwohl es schon Versuche gegeben hat, die Salome zum Zweiakter zu machen), denn vom ersten geschäftig aufperlenden Klarinettensolo bis zum allerletzten Fortissimoschlag ist die Oper zwangsläufig durchkomponiert und ganz aus dem Leben gegriffen: „...Narraboth will Salome. Herodias will Herodes, Herodes will Salome, Salome will Jochanaan und Jochanaan will Gott.“ So stellt sich das Problem laut Programmheft für den Regisseur (Petr H. Weigl) — und man kann das wohl auch schlicht so sagen. In der Musik aber liegen die Dinge komplizierter, da geht es nicht nur geradlinig tragisch zu. Die Strauss'sche Salome ist nämlich „ein Scherzo mit tödlichem Ausgang“ — die Liebe führt zwar in allen Fällen ins sichere Verderben, aber sie ist dabei auch entsetzlich lächerlich: Nehmen wir zum Beispiel den armen Hauptmann Narraboth, der seiner Prinzessin fortwährend noch dazwischen nörgelt, als er für sie schon längst gestorben ist. Oder der Prophet Jochanaan mit seinem hohen Oratorienton: von dem Strauss selbst gesagt hat, er habe ihn als Hanswurst komponiert, weil „ein Prediger in der Wüste, der sich noch dazu von Heuschrecken ernährt, etwas unbeschreiblich Komisches hat“.

Herodes und Herodias giften miteinander herum wie ein altes Ehepaar auf dem Komödienstadl — und selbst die schöne Schlange Salome singt nicht nur Feuer und Flamme, sondern auch ein paar Albernheiten aus dem Schulmädchenreport. Freilich war von diesen vielen Farben, von all der schillernden Hysterie und dem Irrgarten der Gefühle, in dem sich die Menschen in diesem Musikdrama verlieren müssen, so gut wie nichts zu hören. Sinopoli walzte das Stück ganz einfach platt mit einem fortwährend gleich kräftigen Forte — das klang gewaltig und machte etwas her und war doch nichts als eine Notschlachtung. Das Orchester durfte stets schneidig geradeaus spielen, so daß die Sänger auf der Bühne — sämtlich damit beschäfitgt, sich gegen die Attacken aus dem Graben zur Wehr zu setzen — keine Chance hatten, zu zeigen, was sie können. Nur Horst Hiestermann als Herodes blieb noch Luft genug, seine Rolle über die Rampe zu bringen. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte man meinen können, die Salome müsse eben so sein: deftig und heftig und ohne jeden zynischen Zwischenton.

„Gott, diese nervöse Musik“, soll der alte Strauss-Vater gesagt haben, als ihm sein Sohn erstmals etwas aus der Salome vorgespielt hatte: „Das ist ja gerade, als wenn einem lauter Maikäfer in der Hose herumkrabbeln.“ Für Sinopoli hingegen war die Salome offenbar nichts als ein dicker Brummer. Bühnenbild und Regie verhielten sich im übrigen fernsehgerecht: weiß und schwarz in der klaren Kontur der Ferrero-Küßchen- Ästhetik — vorzüglich eingestellt auf Nahaufnahmen sowie auf die dekorative Totale. Das ZDF schnitt mit.