„Das Leiden der Herero und Nama“

■ Kuaima Riruako ist Häuptling des Herero-Stammes in Namibia/ Er erzählt die Geschichte des Völkermordes an seinem Volk und fordert von Bonn Wiedergutmachung für das vom Wilhelminischen Reich begangene Unrecht

taz: Häuptling Riruako, was war der Hintergrund des Herero-Aufstands von 1904 und welche Verbrechen haben die Deutschen damals begangen?

Kuaima Riruako: Die kaiserliche deutsche Regierung hatte 1892 durch ihre Gouverneure Theodor Leutwein und seinen Vorgänger Kurt von Fran¿ois die willkürliche Beschlagnahmung von Land und Vieh der Hereros verfügt. Sie erreichte ihren ersten Höhepunkt mit der Besetzung Windhuks und seiner Umgebung. Damit verloren die Hereros 13.000 Quadratkilometer ihres fruchtbarsten Bodens. Das Gebiet wurde zum Niemandsland erklärt und an eine britische Landgesellschaft weitergegeben.

Als Theodor Leutwein den Gouverneursposten von Kurt von Fran¿ois übernahm, kam es ihm vor allem darauf an, Land und Vieh der Hereros in den Besitz deutscher Siedler zu bringen. Leutwein schaffte das auf betrügerische Weise, indem er die Hereros durch sogenannte Schutzverträge mit Häuptlingen Schritt für Schritt enteignete. 1894 schloß er einen „Vertrag“ mit Häuptling Samuel Maharerero, der die nördliche Grenze des Hererolandes festlegte, und auf diese Weise erreichte er es, das ursprüngliche Herero-Gebiet zu halbieren. (...) Daraufhin kam es zu kleinen lokalen Rebellionen. Leutwein zögerte nicht, dies zu seinem Vorteil zu nutzen und weiteres Land und Vieh der Hereros zu beschlagnahmen.

Bis Anfang 1903 hatte sich die deutsche Regierung über 300.000 Quadratkilometer und 70.000 Stück Vieh der Hereros angeeignet. Allein der Wert des Viehs der deutschen Farmer wurde 1904 auf 14 Millionen D-Mark geschätzt. Dies und andere Faktoren, wie zum Beispiel der Bau der Eisenbahnlinie Windhuk-Otavi quer durch das Hereroland, bei der die Otavie-Gesellschaft einen 20 Kilometer breiten Streifen auf beiden Seiten der Bahn mit allen Wasserstellen beanspruchte, steigerten den Zorn der Hereros und führten zum Ausbruch des Aufstands im Januar 1904. Im Verlauf des Aufstands töteten und vertrieben die Deutschen 80 Prozent der Hereros. Selbst Frauen und Kinder, die Zuflucht in Flüchtlingslagern von Missionsstationen suchten, wurden ermordet, und Überlebende wurden in die wasserlose Kalahari-Wüste getrieben.

Wieviele Hereros sind damals insgesamt getötet worden?

Durch den Vernichtungsfeldzug der deutschen Regierung sind 86.000 Hereros seit 1886 getötet worden oder verschollen. Dies wird durch empirisches Material aus verschiedenen Quellen einschließlich Dokumenten aus deutschen Archiven in Berlin bestätigt.

Sie haben vor kurzem öffentlich Wiedergutmachung von den Deutschen gefordert und darauf verwiesen, daß ja auch den Juden Wiedergutmachung gezahlt worden ist. An welche Summe denken sie?

Meine Vorstellung ist ein auszuhandelnder Betrag um drei Milliarden Rand, den ich im Namen meines Volkes gefordert habe (etwa 1,8 Milliarden D-Mark, d. Red.). Diese Summe ist gedacht als Wiedergutmachung für die Tausenden von Toten, für das verlorene Land und das von der deutschen Regierung beschlagnahmte Vieh. Das Geld soll verwendet werden, um Farmen zu kaufen, wo Tausende von Familien siedeln können, und ebenfalls, um etwas für die Entwicklung der stark überweideten Gebiete zu tun, in denen die Kolonialmacht (Südafrika, d. Red.) seit Anfang der zwanziger Jahre die Landlosen ansiedelte. Wir haben bereits eine Nichtregierungsorganisation, das namibische „Institut für Gemeindeentwicklung“ mit dieser Aufgabe betraut.

Wann haben Sie als Herero-Führer zum ersten Mal von der deutschen Bundesregierung Wiedergutmachung gefordert, und wie haben führende Politiker reagiert?

Wir beschäftigen uns schon sehr lange mit unserem Recht auf Schadensersatz für die unsagbaren Leiden des Herero-Volkes während der deutschen Kolonialherrschaft. In der Zeit vor der Unabhängigkeit haben wir das Thema bei verschiedenen Gelegenheiten angesprochen. Aber seit wir unsere Freiheit und Unabhängigkeit zurückgewonnen haben, kommen unsere Reparationsforderungen besser zur Geltung. Mein erster Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl wurde am 24. November 1989 verschickt. Bisher haben wir jedoch noch keine Antwort bekommen. Wir haben die Angelegenheit aber auch anderen Offiziellen, Persönlichkeiten und Organisationen vorgetragen, zum Beispiel Außenminister Genscher, dem verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, dem CDU-Abgeordneten Professor Hornhues, einem Berater von Kanzler Kohl, dem früheren Entwicklungsminister Johnny Klein, Dr. Heck von der Adenauer- Stiftung, Dr. Gerd Massmann, dem früheren Leiter der deutschen Beobachtermission in Windhuk, der Otto- Benecke-Stiftung und der Friedrich- Naumann-Stiftung.

Und wie ist Ihre Forderung aufgenommen worden?

Die Reaktionen der meisten Politiker und Persönlichkeiten waren von Sympathie getragen, aber alle waren der Ansicht, daß die endgültige Antwort von der deutschen Regierung zu kommen hätte. Wir appellieren an die deutsche Öffentlichkeit, darauf zu dringen, daß die Regierung die Angelegenheit wohlwollend behandelt. Es geht uns um die Unterstützung Tausender von Familien, die als direktes Resultat des ausreichend dokumentierten Völkermords an den Herero und Nama noch immer zu leiden haben.

Das Auswärtige Amt in Bonn hat kürzlich erklärt, seit der Unabhängigkeit Namibias könnten Forderungen wie die von Ihnen nur von der namibischen Regierung vorgebracht werden. Wie steht Ihre Regierung zu den Ansprüchen der Herero?

Den Bedenken des Auswärtigen Amts in Bonn wurde Rechnung getragen. Wir haben die Angelegenheit der namibischen Regierung vorgetragen und sind von Präsident Sam Nujoma informiert worden, daß er unsere Forderungen als berechtigt betrachtet. Präsident Nujoma ging sogar über eine bloße Zustimmung hinaus und riet mir, in meine Forderungen auch einen Anspruch des Nama-Volkes für den gleichermaßen an ihnen während des deutschen Vernichtungskrieges begangenen Völkermord aufzunehmen. Wenn die deutsche Regierung eine positive Antwort gibt, bin ich zuversichtlich, daß die namibische Regierung sich größte Mühe geben wird, die Verhandlungen bis zu einer Beilegung des Konflikts zu führen.

Interview: Rolf-Henning Hintze