Expertenstreit über die Kosten der Einheit

■ Bei der Bundestagsanhörung gingen die Einschätzungen weit auseinander / Kaum Bestätigung für den Regierungskurs

SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier sieht sich durch Bundesbankdirektor Karl-Otto Pöhl in ihren Voraussagen bestätigt. Pöhl hatte auf der Anhörung des Bundestages zu den Kosten der deutschen Einheit für 1991 Staatsschulden in Höhe von 140 bis 150 Milliarden Mark als unausweichlich bezeichnet. Die Stellungnahmen in Bonn beschäftigten sich alle mit der neuesten Meldung aus dem Bundesfinanzministerium, wonach die Steuereinahmen aus den ostdeutschen Ländern in den nächsten Jahren etwa 30 Prozent geringer ausfallen werden als angenommen. Pöhl hielt der Bundesregierung vor, daß das Defizit — entgegen den beschwichtigenden Worten von Finanzminister Theo Waigel — durchaus Probleme für den Kapitalmarkt aufwerfe. Die haushaltspolitischen Sprecher von CDU und FDP, Adolf Roth und Wolfgang Weng, wischten diese Prognosen einfach vom Tisch. Nach dem Hearing tröteten sie, die Experten hätten den finanzpolitischen Kurs der Regierung bestätigt. Nun sei klar: Steuererhöhungen, wie sie die SPD fordere, seien „der falsche Weg, um die Kosten der Einheit zu bewältigen“.

Von Einmütigkeit konnte jedoch bei der Bonner Anhörung keine Rede sein. Beim Thema Steuererhöhungen stand Meinung gegen Meinung. Die Unternehmerverbände lehnten erwartungsgemäß höhere Steuern strikt ab. Der Deutsche Gewerkschaftsbund befürwortete — auch das ist nicht neu — eine Ergänzungsabgabe zur Einkommenssteuer für alle, die mehr als 60.000 Mark im Jahr verdienen. Einen leichten Meinungsumschwung scheint es im Finanzministerium zu geben: Kurt Schmidt aus dem wissenschaftlichen Beirat bezeichnete Steuererhöhungen als „Notlösung“: Sie seien ein „Zeichen der Entschlossenheit, die Kosten der deutschen Einheit unbedingt seriös zu finanzieren“. Er schlug eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Mineralölsteuer vor. Die von der FDP verlangten Steuersenkungen in den ostdeutschen Ländern lehnte er kategorisch ab.

Auch Bundesbankdirektor Pöhl wollte Steuererhöhungen nicht ausschließen. Sie sollten als „allerletztes Mittel“ in Betracht gezogen werden. Zuvor jedoch müßten die Berlin- und Zonenrandförderung und andere Subventionen im Westen abgebaut werden. Außerdem schlug er die Privatisierung „nicht nur im Osten, sondern auch des ansehnlichen staalichen Vermögens im bisherigen Bundesgebiet“ vor. Ein Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages schlug in dieselbe Kerbe: Aus dem „erwiesenen Versagen der sozialistischen Kommandowirtschaft“ müsse im Osten wie im Westen der Schluß gezogen werden: weniger Staatseigentum, mehr Privatwirtschaft. Es sei ein Riesenfehler, daß die Ostberliner Treuhandanstalt marode Betriebe zu sanieren versuche, anstatt sie zu privatisieren.

Der Vertreter des DGB forderte dagegen eine öffentliche Investitionsoffensive. Das Telefonnetz und der Nahverkehr müßten ausgebaut und Umweltschäden beseitigt werden. Nur so seien qualitatives Wachstum und mehr Steuermehreinnahmen zu erreichen. Auch der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel forderte eine „massive Strukturpolitik“ und den Aufbau einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Die Entwicklung in Ostdeutschland sei deshalb so schleppend, weil der Finanztransfer in den Ostteil der Republik in Form von Nachfrage wieder in den Westteil zurückfließe. Hickel schlug deshalb vor, ein Investitionsprogramm an die Auflage zu binden, daß die Absatzchancen der ostdeutschen Betriebe verbessert wird. Eine Ergänzungsabgabe, wie sie von SPD und DGB vorgeschlagen wird, hält Hickel aber für einen „Tropfen auf den heißen Stein“. Er plädierte darüber hinaus, Besserverdienende zu verpflichten, eine Zwangsanleihe mit niedriger Verzinsung zu zeichnen.

Finanzminister Theo Waigel versprach am Ende des Hearings, die Ergebnisse beim Erstellen der Eckdaten für den Haushalt 91 zu berücksichtigen. Kommende Woche will er seine Vorschläge im Kabinett auf den Tisch bringen. Es steht jedoch schon fest, daß er — entgegen den Mahnungen der Bundesbank — eine enorme Neuverschuldung aufnehmen will. Tina Stadlmayer