„Persönliche Schicksale kann man hochstilisieren“

In Köln haben Bürger und Politiker angekündigt, mit „entschlossenem Widerstand“ gegen die Abschiebungen von Roma nach Jugoslawien vorgehen zu wollen/ Jetzt will sich sogar Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes Patenschaften „durch den Kopf gehen lassen“  ■ Aus Köln Martin Fischer

Nach den Bomben auf Bagdad und den Raketen auf Tel Aviv fragte eine alte Roma-Frau in Köln ihre Nachbarin: „Werden wir jetzt weggebracht?“ Sie zog sich für die nächsten drei Tage und Nächte mit einer Freundin in ein Zimmer zurück, obwohl sie zu den wenigen Kölner Roma gehört, die von Abschiebung nicht bedroht sind.

Der Erlaß des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Schnoor, die Duldung für eine noch nicht bekannte Zahl von Roma um zwei Monate zu verlängern (die taz berichtete), hat die Situation in Köln nicht entschärft. Wer sich zum „Reintegrationsprogramm“ der Landesregierung nicht erklärt hat oder von der Ausländerämtern dazu gar nicht erst aufgefordert wurde, wird, so das Landespresseamt, ab sofort nur noch „ausländerrechtlich behandelt“.

So soll die siebenköpfige Mihailovic-Familie, die seit 1966 Jugoslawien nicht mehr gesehen hat und seit 1981 in der Bundesrepublik lebt, am 22.Februar abgeschoben werden. Weil deutsche Beamte gründlich arbeiten, wurde auch dem vor neun Monaten in Köln geborenen Martin Mihailovic von Amts wegen mitgeteilt, sein Aufenthalt in der Stadt würde „die Belange der Bundesrepublik Deutschland“ beeinträchtigen.

Neue Politik in aller Härte demonstrieren

Obwohl die Familie, die in einer selbstgebauten Hütte und in einem Wohnwagen auf dem Kölner Schiffhof lebt, alle Voraussetzungen einer „De-facto-Staatenlosigkeit“ erfüllt, und damit nach dem Ministerversprechen vom Februar 1990 zum Bleiberecht-Kontingent zu zählen ist, soll an ihr die „neue Flüchtlingspolitik“ der Landesregierung in aller Härte demonstriert werden. Inzwischen aber wird diese Roma-Familie von den beiden großen Kirchen beispielhaft unterstützt.

So hat Milos Mihailovic, Kupferschmied mit 33jähriger Berufserfahrung, von einer Kölner Kirchengemeinde Werkzeug und Maschinen erhalten, um für den Unterhalt der Familie selbst sorgen zu können.

Doch in den Kölner Kulturzentren, in denen oft Räume für recht seltsame Zwecke zur Verfügung gestellt werden, scheint es ausgerechnet für den Roma-Schmied keinen Platz zu geben. Die „Alte Feuerwache“ fürchtete angeblich um den lieben Frieden mit den Nachbarn, das alternative Kulturhaus „Rhenania“ rang sich gerade mal einen einmonatigen Mietvertrag ab, weil ihr Vertrag mit der Stadt eine gewerbliche Nutzung nicht vorsehe und überdies freie Räume nicht vorhanden seien.

Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung stehen der Familie Mihailovic nicht mehr zur Verfügung. Sollten die Vermittlungsversuche der Kirchenvertreter bei der Stadt auf taube Ohren stoßen, bleibt den verschiedenen Kölner Roma-Initiativen nichts anderes übrig, als ihre Ankündigung, sich „schützend vor die Roma-Flüchtlinge zu stellen und sie dem Zugriff des Staates in unseren Häusern, Zentren und Kirchen zu entziehen“, wahr zu machen.

Der Asta der Katholischen Fachhochschule, die Studentenschaft der FH Sozialarbeit, der Asta der PH Köln, die Ethnologische Studentengruppe der Kölner Uni, die grüne Ratsfraktion und Einzelpersonen haben Patenschaften für Kölner Roma- Familien übernommen.

Golfkrieg erschwert Verständnis für Roma

War in den letzten Jahren die Partnerschaft zwischen Deutschen und Roma Voraussetzung für die Erlangung des städtischen Bleiberechts, so geht von den neuen Patenschaften ein neues Signal aus. Wer Roma abschieben will, so die unzweideutige Botschaft der Kölner Roma-UnterstützerInnen, hat mit entschlossenem Widerstand zu rechnen. Ziviler Ungehorsam wurde angekündigt.

„Viele werden denken, mein Gott, diese paar Roma werden halt abgeschoben. Aber wir haben im Moment Krieg, was soll ich mich damit beschäftigen?“ Ulla Bartz von den Kölner Grünen, die zusammen mit acht Mitgliedern und MitarbeiterInnen der grünen Ratsfraktion vor vier Wochen eine Partnerschaft für eine siebenköpfige Roma-Familie übernommen hat, ist auch in der Kölner „Aktionskoordination“ gegen den Golfkrieg aktiv. Sie weiß, daß die zahllosen Friedensdemonstrationen die Schwelle der öffentlichen Wahrnehmung erhöht haben. „Wofür wir früher das Engagement von hundert Menschen gebraucht haben, bräuchten wir heute das von tausend.“

Die von den Grünen betreute Familie Bajramovic lebt in einem kleinen Zimmer im Wohnheim Dellbrücker Mauspfad. Die 33jährige Sarva Bajramovic, Mutter von fünf Kindern, ist schwanger und erwartet Zwillinge. Die Bajramovics haben 1973 Jugoslawien das erste Mal verlassen und leben seit 1984 in Deutschland. „Jedesmal, wenn die Mutter wieder ein Baby bekam“, berichtet Rolf Sterk von der grünen Ratsfraktion, „erhielten sie die Auflage, spätestens vier Tage nach der Geburt sofort aus der Stadt zu verschwinden.“

Auch die Hausfrau Ute Schmitz ist eine Partnerschaft mit einer Roma- Familie eingegangen. Über einen Umweg: Eines Tages kam ihre Tochter verschreckt nach Hause, weil sie von Roma-Kindern gezwungen worden war, ihr Taschengeld zu sozialisieren. Als später in der Kirche dzu aufgerufen wurde, Roma-Familie durch Patenschaften beizustehen, meldete sich Frau Schmitz. „Entweder bestätigt sich unser Vorurteil, oder wir müssen umdenken.“

Ute Schmitz hat die Partnerschaft für die Familie Vera und Ratko Jovanovic vor sechs Monaten übernommen. Anfang der 80er Jahre haben die Jovanovics zusammen mit den Eltern und der Familie des Bruders Jugoslawien verlassen. Die 30köpfige Großfamilie, die jetzt im städtischen Wohnheim in der Xantener Straße lebt, kam über Italien, wo sie von Turin bis Neapel von Stadt zu Stadt getrieben wurden, und Frankreich, wo eine verwandte Familie seit über 20 Jahren lebt, nach Köln. Zum ersten Mal durften sie an einem Ort bleiben. Zum ersten Mal besuchten die Kinder Schule und Kindergarten. „Es geht über unsere Kräfte“, sagt Vera Jovanovic, „wenn wir daran denken, wie es sein wird, wenn wir hier weg müssen.“ Die weitverzweigte Familie lebt in Deutschland, Österreich, Italien und in Frankreich.

Nach Jugoslawien, wo sie „Hunger und Not, Unterdrückung, Schläge und Krankheiten“ erwartet, wie Stefan Jonuz vom Kölner Roma- Verein vergangene Woche im „studio dumont“ einem staunenden Vernissage-Publikum erklären mußte, will keine der Kölner Roma-Familien: „Sie brauchen hier Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, kein Reintegrationsprogramm in Jugoslawien.“

Der Schirmherr der städtischen Ausstellung „Kölner Roma-Kinder malen Bilder von ihrem Leben“, der Kölner Regierungspräsident Franz- Josef Antwerpes, will sich jetzt, so der 'Kölner Stadtanzeiger‘, eine mögliche Partnerschaft „durch den Kopf gehen lassen“. Antwerpes, der in empfindsamen Worten die Zeichnungen der Roma-Kinder zu deuten wußte, hat auch in letzter Instanz über ihre Abschiebung zu entscheiden. Als er im Dezember auf die Situation der von Abschiebung bedrohten zehnjährigen Sanella angesprochen wurde, die jetzt für ihr Bild einen ersten Preis bekam, fiel seine Antwort eindeutig aus: „Persönliche Schicksale kann man hochstilisieren.“