Wie wäre es mit Bitterfeld?

SPD-Bundestagsfraktion diskutierte die Hauptstadtfrage und ließ dennoch alles offen/ Stolpe und Vogel für Berlin, Rau und Engholm für Bonn/ MdB Brecht läßt Wähler abstimmen  ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer

„Ich bin für Bitterfeld als Sitz des Bundestages“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete und thüringische Landesvorsitzende Gisela Schröter, „dort würde keine Sitzung länger dauern als unbedingt nötig.“ Gestern debattierte die SPD-Fraktion über die Frage „Bonn oder Berlin?“. Die Abgeordneten stimmten jedoch nicht ab. So bleibt weiter offen, in welche Richtung die Mehrheit tendiert. „Haben wir nichts Wichtigeres zu tun?“, fragt Gisela Schröter. Bei ihr zuhause hätten die Leute andere Sorgen, und sie selbst habe „keine Präferenz“, verbinde jedoch mit Berlin „negative Erinnerungen an das Dritte Reich und die SED-Regierung“.

Gisela Schröter gehört zu einer winzigen Minderheit innerhalb der Gruppe der 35 Abgeordneten aus den neuen Bundesländern. Die meisten der SPD-Ossis sind für Berlin. Christel Hanewinckel aus Sachsen-Anhalt nennt die beiden Hauptargumente der Berlin-Befürworter: Bonn ist von den Problemen in den neuen Bundesländern zu weit weg. Berlin steht zudem für die Öffnung nach Osteuropa. Die Sächsin Renate Jäger hofft: „In punkto Infrastrukur wird im Osten mehr passieren, wenn Berlin Haupstadt ist.“ Allerdings, so die SPD-Frau, dürfe Berlin nicht bevorzugt werden, denn dies schüre im Süden der ehemaligen DDR „Haß und Aggression“.

Der Westberliner Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg hielt das Plädoyer für Berlin: Ohne eine Verlagerung der politischen Entscheidungszentren werde es dort bald eine „Armutsmetropole“ geben. Als „Stargäste“ traten dann der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe und seinen nordrheinwestfälischer Kollege Johannes Rau auf. Stolpe verkauft sein Votum für Berlin als mögliche „Konsenslösung“: Während der kommenden zwölf Jahre bleiben Parlament und Regierung „mit allem Drum und Dran“ noch in Bonn. Danach werde man sich „auf Berlin orientieren“. Fraktions- und Parteivorsitzender Hans Jochen Vogel hält dies für eine Schnapsidee. Der Umzug nach Berlin müsse schneller gehen, sonst gebe es ein Planungschaos.

Auch Johannes Rau spricht sich gegen einen „Schwebezustand“ von zehn bis zwölf Jahren zwischen Bonn und Berlin aus. Das Votum des Nordrhein-Westfaleners ist eindeutig: für Bonn. „Herausragende Staatsakte und wichtige Plenarsitzungen“ könnten trotzdem in Berlin stattfinden. Rückenstärkung bekommt Rau vom Bonner Bundestagsabgeordneten Horst Ehmke. Gemeinsam mit Norbert Blüm von der CDU und Gerhard Baum von der FDP hat Ehmke bereits 255 Abgeordneten-Unterschriften „für Bonn“ gesammelt. Auch der Saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau und der designierte SPD- Vorsitzende Björn Engholm plädieren für Bonn als Regierungssitz.

Prominente Berlin-Befürworter sind neben Hans-Jochen Vogel und Manfred Stolpe der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt und der hessische Ministerpräsident Hans Eichel. Bonn- und Berlin-Freunde stehen sich also in der SPD gleichstark gegenüber. Eberhard Brecht aus dem Wahlkreis Quedlinburg in Sachsen- Anhalt hatte gestern eine Idee, wie seine Partei aus dem Dilemma herausfinden könnte: Per Postkarte sollen die Quedlinburger mitteilen, ob sie für Bonn oder Berlin sind. „Ich halte mich dann an dieses Votum“, so der Sozialdemokrat, „so könnte man es doch überall machen.“