Tadschikische Opposition formiert sich

■ Blockade des Obersten Sowjet durch DemonstrantInnen/ Rücktritt des Notstandsregimes gefordert/ Bislang schwache Basis für die oppositionellen Kräfte/ Alte Machtelite unter neuem Namen

Duschanbe (afp/taz) — In Duschanbe, der Hauptstadt der zentralasiatischen bisherigen Sowjetrepublik Tadschikistan, haben sich am Dienstag an die 10.000 DemonstrantInnen vor dem Parlament versammelt. Sie forderten den Rücktritt Rachman Nabijews, eines altgedienten KP-Apparatschiks, der am Vortag von der kommunistischen Mehrheit des Obersten Sowjet Tadschikistans zum Übergangspräsidenten ernannt worden war. Die DemonstrantInnen trotzten damit dem gleichzeitig verhängten Ausnahmezustand, der alle Demonstrationen verbot. Bereits in der Nacht zum Dienstag hatten Tausende von Menschen auf dem Hauptplatz Duschanbes vor dem Parlament kampiert. Truppen des Innenministeriums einschließlich Spezialeinheiten der sowjetischen OMON zogen vor dem Parlamentsgebäude auf, griffen aber nicht ein. Die tadschikischen Abgeordneten des sowjetischen Volksdeputiertenkongresses hatten vorher an die „Organe“ appelliert, keine Gewalt anzuwenden. Erstmals seit der Proklamation der Tadschikischen Sowjetrepublik 1924 ist der Machtanspruch der kommunistischen Führungdselite gefährdet. Wie in den anderen zentralasiatischen Republiken auch war der Apparat der tadschikischen KP von der Perestroika fast unberührt geblieben. Die Nomenklatura nutzte den Prozeß der nationalen Bewußtwerdung Tadschikistans und die Hinwendung zu den persischen Ursprüngen seiner Kultur, um sich gegenüber den Moskauer Reformern abzusetzen und im Rahmen der Union unangreifbare Positionen aufzubauen. Antikorruptionskampagnen der Zentrale waren unter diesen Umständen ebenso zum Scheitern verurteilt wie die zaghaften Versuche zur Demokratisierung, wurden sie doch als „Russifizierung“ denunziert. Die Unruhen im Februar 90 und im Frühjahr 91 in Duschanbe entzündeten sich am national-kulturellen Gegensatz zur usbekischen Minderheit und an sozialen Problemen wie der drückenden Wohnungsnot. Sie hatten keine demokratische Stoßrichtung und wurden mit Hilfe des Ausnahmezustandes rasch niedergeschlagen. Der autokratisch regierende Parteisekretär Achar Machamow ließ sich 1990 zum Präsidenten wählen. Er hätte gute Chancen gehabt, im Rahmen einer nationalistischen „Wende“ an der Macht zu bleiben, hätte er sich beim Moskauer Putsch nicht auf die Verliererseite geschlagen. Seine innerparteilichen Gegner, Anhänger eines kontrollierten Reformprozesses, nutzten ihre Chance und brachten mit Kadriddin Aslanow einen ihrer Leute als Interimspräsidenten an die Macht. Aber statt die Nomenklatura unter einem nationalen und „sozialistischen“ Aushängeschild an der Macht zu halten, beschlossen sie deren Liquidierung. Absetzung und Ausnahmezustand folgten auf dem Fuße.

Die oppositionelle Bewegung in Tadschikistan krisitallisiert sich heute um drei politische Gruppierungen: die tadschikisch-nationalistische, die von der Erinnerung an die persische Hochkultur lebt, die radikal-religiöse, deren sunnitisches Glaubensbekenntnis sie allerdings von den Teheraner Mullahs trennt, und eine schwache demokratische, die eine Demokratie nach westlichem Muster anstrebt. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung haben die Demonstranten mit Schodmon Jusupow, dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei, einen Sprecher gefunden. Alle oppositionellen Gruppierungen sind bislang schwach in der Bevölkerung verankert. Ihre Mitglieder rekrutieren sich aus Klubs und Vereinigungen der Hauptstadt. Ihr jetziger Kampf gegen die Nomenklatura könnte sie zwar nicht zu Vertretern, aber zu Sprechern einer Bevölkerung machen, die zu den ärmsten und rückständigsten des bisherigen Sowjetreiches gehört. Christian Semler