Der Antikommunismus der Bergleute bleibt zwiespältig

■ Rumäniens Bergleute, unter Ceausescu priviligiert, sind mitten in einem komplizierten Organisationsprozeß; sie wollen vor allem wirtschaftliche Sicherheit

Bis vor kurzem galten die Bergleute eher als Stützen des Regimes. Im Juni 1990 waren 10.000 von ihnen einen Hilferuf von Präsident Iliescu nach Bukarest gefolgt und hatten dort regierungsfeindliche Demonstranten zusammengeschlagen und die Einrichtungen oppositioneller Organisationen verwüstet. Ihre damalige genau Ortskenntnis beruhte auf Hilfestellungen durch die ehemalige Geheimpolizei Securitate, deren Agenten sich als Bergleute verkleidet unter die Schlägertrupps gemischt hatten. Diesmal kannten die Bergleute den Weg schon.

Die Forderungen der Arbeiter sind auf den ersten Blick nicht sonderlich radikal. Sie verlangen, ihrem Sprecher Miron Cosma zufolge, ein Einfrieren der Preise, ein Investitionsprogramm zur Modernisierung der Kohlengruben, einen Verzicht auf die Stillegung staatlicher Bergwerke, eine bessere ärztliche Versorgung der Arbeiter und bessere Sozialleistungen für junge Bergabeiterfamilien. Die Bergleute forderten deswegen den Rücktritt von Ministerpräsident Petre Roman, weil sie ihn für die Verschlechterung der Lebensbedingungen verantwortlich machen. Bereits seit einiger Zeit hat sich ein Dissens zwischen Roman und Iliescu verstärkt, wobei es Roman mehr um die internationale Anerkennung und einen wirtschaftlichen Aufschwung ging, Iliescu hingegen eindeutiger die Interessen der ehemals kommunistischen Nomenklatura vertrat. Roman ist überdies seit Monaten Objekt von — teilweise antisemitischen — Angriffen seitens der rechtsextremen Presse.

Hintergrund der Ereignisse ist die sich ständig verschlechternde Wirtschaftslage des Landes — steigende Preise, Geldverfall, Arbeitslosigkeit usw. Hinter dem wirtschaftlichen Niedergang steckten nicht nur die für alle ehemals sozialistischen Gesellschaften typischen Schwierigkeiten, sondern eine zugleich populistische und besonders inkompetente Wirtschaftspolitik.

Daß es die nach rumänischen Maßstäben vergleichsweise gut verdienenden Bergleute sind, die zum gewaltsamen Protest übergehen, erklärt sich aus der Vergangenheit. Schon in der Zeit Ceausescus war das Jiu-Tal mehrfach Ort von Unruhen gewesen, die mit einer unerhörten Brutalität niedergeschlagen wurden. Die Gewalt, die sich im Juni 1990 gegen die regierungsfeindliche Demonstranten richtete, ist also in jüngerer Zeit erlernt worden.

Organisation in der Ceausescu-Zeit

Bereits während der Arbeiter-Unruhen in der Ceausescu-Zeit hatten die Bergarbeiter des Jiu-Tals aber auch gelernt, sich für bestimmte Aktionen zu organisieren. Die Schwäche aller Organisationsformen von unten, eine übergroße Zersplitterung und damit eine leichtere Manipulierbarkeit, wirkte sich auch hier aus. Dem Sturz Ceausescus folgte der rasche Zusammenbruch des offiziellen Gewerschaftswesens. Es entstanden im ganzen Lande Tausende verschiedener unabhängiger Gewerkschaften, von denen ein Teil sich von der regierenden Front instrumentalisieren ließ, ein anderer der Opposition näher stand.

Für die Arbeiter erscheint als eines der größten Probleme die Arbeitslosigkeit, die insgeheim bereits unter Ceausescu in großem Ausmaß existierte. Die Front reagierte auf die Arbeitslosigkeit zunächst auf klassisch sozialistische Weise: Sie befahl Betrieben und Unternehmen, Arbeitslose einzustellen, obwohl die bereits weit überbesetzt waren. Diese Maßnahme wurde von einer Lohnsteigerung und der Verordnung der Fünftagewoche begleitet. Dieser wirtschaftliche Irrsinn ließ sich nicht lange durchhalten. Der Absturz war umso schlimmer. Inzwischen sind die möglichen Zahlen außerordentlich düster. Gewerkschaftliche Berechnungen gehen inzwischen von Arbeitslosenzahlen von 1,5 Millionen aus, das sind 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung und der Tatsache, daß die Regierung keinerlei Mittel mehr zu verschenken hat, wuchs auch unter den Arbeitern der oppositionelle Geist. Das zeigte sich im Juni dieses Jahres, als zwei große Gewerkschaftsbündnisse aus mehreren anderen Zusammenschlüssen entstanden. Sie verfügen eigenen Angaben nach gemeinsam über insgesamt zwei Millionen Mitglieder. Sie organisierten seit Juni 1991 verschiedene kleinere Streiks, darunter einen der Taxifahrer Bukarests und mehrere von Eisenbahnern. Allerdings mußten die beiden Gewerkschaftsverbände auch Niederlagen einstecken. Der Versuch der „Nationalen Gewerkschaftskonföderation“ z.B., am 18. Juni eine Massenkundgebung vor dem Regierungsgebäude zu organisieren, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen, mißlang. Statt der erwarteten 30.000 kamen nur 6.000. Erst recht mißlang der Versuch eines Generalstreiks.

Das Verhältnis der Gewerkschaftsbewegung zur demokratischen Opposition hat sich vor allem auf der Führungsebene in den letzten Monaten verbessert. Allerdings kann der Abgrund zwischen den Bildungs- und Mittelschichten und den Unterschichten, der die meisten ehemaligen sozialistischen Gesellschaften kennzeichnet, nicht leicht überbrückt werden. Während die demokratische antikommunistische Opposition, die vor allem die Mittelschichten repräsentiert, auf eine gründliche Wirtschaftsreform, auf Privatisierung der Unternehmen und auf eine tiefgreifende Demokratisierung drängt, geht es den Arbeitern und ihren Organisationen vor allem um den Schutz vor Arbeitslosigkeit, niedrige Preise und hohe Löhne — und um umfangreichere Sozialleistungen. Mit diesen Forderungen wird der Staat wieder auf seine dirigierende Rolle im sozialistischen System fixiert. Der Antikommunismus der Arbeiter bleibt damit ambivalent. Erhard Stölting