Ein mildes Lächeln

■ »Musik im NS-Staat« — eine Veranstaltung mit Fred K. Prieberg im Musikclub des Schauspielhauses

Oh, ist das aber nett hier, sagt das junge Mädchen bei Betreten des Musikclubs. Nett ist gar kein Ausdruck: An diesem Raum ist die jüngste deutsch-deutsche Geschichte spurlos vorbeigegangen.

Immer noch rieselt diskret Barockmusik aus den Lautsprechern, immer noch dampft gediegene Geborgenheit aus den moosgrün und weinrot getäfelten Wänden, immer noch künden die kleinen Karten auf den Marmortischen von Nische zu Nische: Wir servieren für Sie! Und wirklich wird hier immer noch »Sektsinfonie« serviert — diese unvergleichlich grünbläuliche Ziegenpisse, die früher einmal das klassische Ostgetränk war für den kulturell verschönten Feierabend der Werktätigen.

Nur in Nuancen hat westliche Lebensart Einzug gehalten im Musikclub des Schauspielhauses. Man sagt nicht mehr Juice, man sagt Saft. Man trifft sich nicht mehr nur, um den »heiteren Bach« zu genießen oder ein tümliches Potpourri aus »Jungfernkranz und Jägerchor« — heute abend gilt es, Dokumente und Kommentare von Fred K. Prieberg über die Musik der NS-Zeit zu hören.

Prieberg, das ist mittlerweile der große alte Mann der Vergangenheitsbewältigung in der Musik geworden. In einer Zunft, die in stiller Übereinkunft zwölf Jahre schlicht aus ihren Annalen gestrichen hat, ist er der einsame Rufer in der Wüste geblieben. Die Aufdeckung der Fakten ist sein Lebenswerk, das Knacken versiegelter Archive, das Brechen von Tabus und das Treten ins Fettnäpfchen sind seine Spezialität. An diesem Abend aber paßt sich Prieberg dem Ambiente prima ein.

Er spricht die ungeheuerlichsten Provokationen mit sanfter Stimme und fast ganz ohne Ironie gelassen aus. Er freut sich, sagt er, daß kein Gedränge herrscht. Und nickt grüßend jedem einzelnen der rund 30 Leute zu, die sich eingefunden haben. In Worten: dreißig. Und das in einer Haupt- und Millionenstadt, die zwei Musikhochschulen aufzuweisen hat, drei musikwissenschaftliche Institute, ein Konservatorium, rund ein Dutzend Musikschulen, drei Opernhäuser, drei große und mindestens sechs kleine Konzertsäle sowie ein ganzes Schock Musikbibliotheken.

Prieberg setzt noch einen drauf: er bescheinigt dem Publikum, die kleine Runde sei ein schönes Zeichen für besondere Qualität und überhaupt das Thema doch ziemlich entlegen. Wir sind Spezialisten, wir sind unter uns.

Das erste Dokument ist der Reichsrundfunkmitschnitt einer NS- Feier im Dom zu Quedlinburg zur Tausendjahrfeier des ersten Heinrich — das war der, der erst am Vogelherd saß und später die Böhmen und Slawen östlich der Elbe aufs Haupt schlug. Mit Pathos und Luren grüßt das dritte Reich den Begründer des ersten deutschen Reiches, hoch und falsch klingt das Lob auf deutsche Treue, deutsche Ehre und deutschen Mannesmut.

Anschließend wird diskutiert. Darüber, ob die NS-Festmusik mehr nach Strauss oder mehr nach Hindemith klingt oder auch, wie und welche Volkslieder der Komponist da demagogisch geschickt hineingewoben hat. Daß draußen im Lande ganze Ortschaften wieder im Namen der deutschen Nation Amok laufen — das ist ein zu weites Feld und überhaupt als Thema: entlegen.

Es geht nur um Geschichte. Und in der wiederum geht es zunächst um Fragen der Ästhetik sowie darum, wer die Details der Aktenlage besser drauf hat. Da kann dann auch wohl ein Spezialist dem anderen mitunter rüde übers Maul fahren.

Als Prieberg das Für und Wider im Fall Furtwängler abwägt, hört eine gut oder vielmehr besser informierte Dame heraus, er habe damit die Juden diffamieren wollen. Prieberg ist traurig, der versammelte Verein der Gutgesinnten vorübergehend sprachlos. Aber dann geht es weiter und tiefer hinein in die Details der Geschichte, und nach beinahe drei Stunden gemütlichen Beisammenseins stellt sich das sichere Gefühl ein, daß es hier statt um die nationalsozialistische Musikpolitik ebensogut um das Jahrestreffen eine deutschen Kleintierzüchterverbandes hätte gehen können. Die Streitkultur jedenfalls ist haargenau die gleiche, und die selbstverordnete Abstinenz gegenüber aktuellen politischen Fragen auch.

Am Schluß immerhin sollen doch noch die Parallelen zur Musikpolitik der DDR beiläufig gestreift werden — aber schon wieder ist das Feld zu weit und das Thema irgendwie zu entlegen. Lassen wir Zeit ins Land gehen, fordert ein Herr. Genutzte Zeit, mahnt Prieberg milde lächelnd. Elisabeth Eleonore Bauer

Literatur: Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat . Fischer Taschenbuch 1982, DM 19,80