Armenier und Aseris am Verhandlungstisch

■ Erste Gespräche über Nagorny-Karabach/ 100.000 fordern Unabhängigkeit Aserbaidschans/ Verteidigungsminister der UdSSR will Nationalgarden anerkennen

Moskau (afp/ap) — Nach der russisch-kasachischen Vermittlungsreise nach Armenien Ende September ist es nun soweit: Am Wochenende nahmen Regierungsvertreter Armeniens und Aserbaidschans Gespräche über die Zukunft Nagorny- Karabachs auf. In dieser zu Aserbaidschan gehörenden, aber zu 80 Prozent von Armeniern bewohnten Region kamen in den vergangenen vier Jahren bei „Unruhen“ mehr als tausend Menschen ums Leben. Nun fordert die Bevölkerung den Anschluß an Armenien.

Konkrete Ergebnisse zu dieser Frage wurden bei diesem ersten Treffen, das im armenischen Kajan stattfand, nicht erreicht; doch sprachen sich die Delegationsleiter für eine Fortsetzung des Dialogs aus. Der russische Beobachter nannte die Gespräche „fruchtbar“ und „präzise“. Ein positives Zeichen setzte Aserbaidschan außerdem durch die Aufhebung der seit vier Wochen dauernden Blockade des Eisenbahnverkehrs nach Armenien. So konnte am Samstag ein Zug mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff die armenische Hauptstadt Eriwan erreichen.

Unterdessen haben in Aserbaidschan die Forderungen nach Unabhängigkeit der zentralasiatischen Republik neuen Auftrieb bekommen. In Baku forderten 100.000 Demonstranten den aserischen Präsident Mutalibow auf, nicht an einem gemeinsamen Treffen der bisherigen Sowjetrepubliken teilzunehmen. Bei dem fürs Wochenende geplanten Treffen soll die Ukraine zum Beitritt zu der vor einer Woche geschlossenen Wirtschaftsunion — der sich auch Aserbaidschan nicht angeschlossen hat — aufgefordert werden.

Den Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen Sowjetrepubliken kam am Wochenende UdSSR- Verteidigungsminister Schaposchnikow entgegen. Er erklärte sich bereit, die Nationalgarden der Republiken „anzuerkennen“. Gleichzeitig bekräftigte er jedoch, daß die Einheiten der Roten Armee weiterhin dem sowjetischen Verteidigungsministerium unterstehen. Die Bildung nationaler Armeen könnte nicht akzeptiert werden.

Für eine weitere Entmachtung zenraler Instanzen hat sich dagegen der russische Außenminister Andrej Kosyrew ausgesprochen. Er forderte die Übertragung der Befugnisse des sowjetischen Außenministeriums auf die einzelnen Republiken. In Zukunft solle es nur eine beratende und koordinierende Funktion haben.

Ukraine will Tschernobyl stillegen

Ein seit Monaten dauernder Nationalitätenkonflikt stand auch auf der Tagesordnung des russischen Parlaments. Die Abgeordneten drückten ihre Sorge angesichts des Flüchtlingsstromes aus Südossetien nach Rußland aus. Sollten die Menschenrechte in Georgien weiterhin nicht eingehalten werden, müßte Rußland harte Wirtschaftssanktionen gegen die benachbarte Republik verhängen. Gefordert wird außerdem die Entsendung einer KSZE-Delegation nach Georgien. Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Georgiern und den nach Unabhängigkeit strebenden Osseten sind innerhalb eines Jahres mehr als 100 Menschen umgekommen, 85.000 Flüchtlinge verließen Georgien.

Die Regierung der Ukraine und die zuständige Kommission des Obersten Sowjet der Republik sind für eine Stillegung des Atomkraftwerks von Tschernobyl. Das berichtete die sowjetische Zeitung 'Komsomolskaja Prawda‘ am Samstag. Noch keine Entscheidung über die Stillegung hat dagegen das Parlament getroffen. Die drei Varianten zur Schließung, die die Regierung und das Energieministerium dem Obersten Sowjet vorgelegt hätten, habe die Abgeordneten nicht befriedigt. Daß Tschernobyl aber abgeschaltet werden müsse, sei jedoch allen klar.

Die Zeitung nennt keine Einzelheiten über die drei Varianten, schreibt aber, der Oberste Sowjet dränge darauf, daß für alle Beschäftigten in Tschernobyl neue Arbeitsplätze geschaffen werden müßten. Offen sei auch die Frage, wo die Ukraine die 10 bis 15 Milliarden Rubel für eine Stillegung, die mindestens viereinhalb Jahre in Anspruch nehmen werde, hernehmen solle.