Nichts Besonderes früher oder später

■ Barbara Heller am Sonntag abend zu Gast im Begine

Ganz zum Schluß setzt es doch noch die dämlichste aller Damenfragen: »Gibt es eine spezifische weibliche Ästhetik?« Das Publikum im Frauencafé Begine mag das nur noch mit einem immerhin durch und durch weiblichen Unisono-Ächzen quittieren. Die Befragte aber, die Komponistin Barbara Heller, hat sich längst am Flügel so warm und frei gespielt, daß sie auch darauf noch die passende Antwort weiß: Jein.

Ja — und mit aller Vorsicht formuliert: Es gibt grundsätzlich Unterschiede zwischen der Musik von Frauen und der von Männern, jedenfalls in bezug auf die Form und wenn man's historisch sieht. Nein — und mit allem Nachdruck: Jede Komponistin heute sollte den Mut zur eigenen Originalität haben, egal wie das auf der Skala der Wertkriterien veranschlagt wird. Das ist eine klare Absage an die alten Schubladen und zugleich eine schöne Kampfansage gegen den von diesem Denken leider immer noch dominierten Männermusikbetrieb.

Am Abend zuvor hatte der Sender Freies Berlin genau das wieder einmal vorexerziert: Im großen Sendesaal gab es Musik der Gegenwart mit einem Werk von einem Mann, von eben dem dirigiert — im kleinen Sendesaal, aber zur gleichen Zeit, das Musikforum live mit drei Uraufführungen von drei mindestens ebenso gegenwärtigen Komponisten — nur, daß die alle drei weiblichen Geschlechts sind und deshalb offenbar den Artenschutz einer eigenen Veranstaltung und einer besonderen, spezifisch weiblichen Moderation bedürfen. Nehmen wir mal an, diese Duplizität der Ereignisse war nur ein Planungs- und kein Denkfehler. Dann, um so schlimmer, liegt der Denkfehler in der Planung. Und die dümmsten Fehler passieren sowieso immer, wenn sich gerade niemand was dabei gedacht hat — wenn sich die sogenannten Verhältnisse heiter immer weiter fortschreiben, was ja besonders schmerzt. Barbara Heller jedenfalls, die samstags im Musikforum ihr neuestes Stück Un poco zur Uraufführung hatte bringen dürfen, sagte sonntags im Begine auf die Frage: Ob sie sich als Komponistin jemals diskriminiert gefühlt habe? Ja, leider, oft genug. Und zum Beispiel gerade gestern durch dieses Sonderkonzert.

Sie ist auch sonst nicht auf den Mund gefallen. Keine Spur von weiblicher Larmoyanz und Betroffenheitslyrik, jedes Wort ein offenes Messer — und zwar ganz ohne Militanz, sanft und doch scharf geschliffen. Frauenmusik? Eine Mode, aber Moden gehen vorbei. Quotierung? Gewiß. Gerechtigkeit ist eine feine Sache. Doch es geht nicht gerecht zu im Musikbetrieb, auch nicht für die Männer. Die haben mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen, keiner kann vom Komponieren leben. Künstler sein ist heute kein Beruf mehr. Auftragswerke? Kriegt man durch Seilschaften, wer will's den Männern verdenken, wenn sie sich gegenseitig fördern — wir Frauen sollten's genauso machen. Das größte Handicap? Die Angst ganz selbstverständlich zu sagen: Ich komponiere.

Natürlich ist eine Komponistin immer noch etwas Besonderes. Das Besondere an Heller ist, daß sie, nach einem beschwerlichen und umständlichen Weg der Selbstfindung, heute sagen kann: Das Besondere an meinen Werken ist, daß sie von mir sind. Und dann spielt sie sich einmal quer durch die eigene Geschichte : Die Toccatina aus dem Jahre 63, eine wilde pianistische Etüde, das letzte Stück von einer langen Schaffenspause — und Anschlüsse, das erste, vorsichtig tastende Werk danach. Sie hat über die Jahre hinweg ihren eigentümlichen Ton bewahrt, der spätromantisch kritisch und unverschämt frech zugleich wirkt: Ohrwürmer mit Widerborsten, ein unverwechselbarer Personalstil. Im scharlachroten Buchstaben — einem Auftragswerk aus dem Jahre 1985, hat Heller alle handwerklichen Kniffe des Komponierens zum Spaß durchgespielt und mit gutem Grund dazu noch die eigenen Initialen hineingerätselt. Am Ende reicht die Tastatur nicht mehr aus für die vielen Töne — und dann spielt sie auf Wunsch des Publikums doch noch den harmlosen, kleinen Scherzartikel Reissverschluß, den die Begine- Frauen vor drei Wochen schon einmal im Konzert gehört und lieben gelernt haben.

Heller komponiert Programm- Musik für sich und andere (das Programm wechselt je nachdem). Früher oder später — so hat sie eine Komposition für Klarinette und Klavier genannt – früher oder später ist eine Komponistin nichts Besonderes mehr. Elisabeth Eleonore Bauer

Das nächste Konzert im Frauencafé Begine, Potsdamer Str. 139, findet am 1.12. um 20 Uhr statt. Das Fanny-Hensel-Ensemble aus Stuttgart spielt Werke von Hensel, Gubaidulina, Schmidt, Chance und Chaminade. Eintritt: 5 Mark.