Bürgerkrieg in Georgien
: Der erste Präsident Georgiens ist am Ende

■ Als Befreier von den Moskauer Okkupanten war er mit überwältigender Mehrheit als erster Präsident in freien Wahlen gekürt worden - jetzt ist Swiad Gamsachurdia am Ende...

Der erste Präsident Georgiens ist am Ende Als Befreier von den Moskauer Okkupanten war er mit überwältigender Mehrheit als erster Präsident in freien Wahlen gekürt worden — jetzt ist Swiad Gamsachurdia am Ende. Die Hoffnungen auf ein demokratisches Georgien hat er durch einen anmaßenden, despotischen Regierungsstil untergraben, der Aufbruch in die Freiheit endete im Bürgerkrieg. Die Bevölkerung hofft, daß die Führung der Opposition pragmatischer ist. Offen ist, ob sich Georgien nach einem Machtwechsel der GUS anschließen wird.

Der Fall Gamsachurdia zeigt die Problematik der politischen Übergänge in der ehemals sozialistischen Welt mit besonderer Deutlichkeit. Der Kampf gegen das sowjetische Herrschaftssystem setzte angesichts seiner scheinbaren Aussichtslosigkeit lange Jahre einen ungeheuren moralischen Rigorismus voraus, der sich in Ansprüchen sowohl gegenüber der eigenen Person wie gegenüber anderen äußerte. Der Gegner repräsentierte das Unrecht, das Böse und die Unwahrheit schlechthin. Ohne eine solche radikale Haltung wäre Opposition unmöglich gewesen, denn sie wurde bis 1985 mit einer vergleichbaren Radikalität von den damaligen Machthabern verfolgt. Wenn die anderen das absolut Negative vertreten, vertritt man selbst das absolut Gute.

In Georgien waren spätestens seit dem Massaker vom 9.April 1989 alle für die Unabhängigkeit des Landes, die parlamentarische Demokratie und die Marktwirtschaft. Gerade das aber erschwerte offenbar Kompromisse und Zusammenarbeit. Eine erste Spaltung der Opposition bestand von Anfang an — jene zwischen „Gemäßigten“ und „Radikalen“, also jenen, die eine schrittweise Transformation und jenen, die den deutlichen Bruch wollten. Bis zum Massaker von Tbilissi hatten die Gemäßigten durchaus politisches Gewicht, wie der Literaturkritiker Akaki Bakradse, der dann als Vorsitzender der kulturell-politischen Rustaweli-Gesellschaft gekippt wurde. Gemäßigt war auch der Philosoph Nodar Natadse, der Vorsitzende der Georgischen Volksfront.

Die Radikalen gruppierten sich in zwei Lager. Gamsachurdias Koalition „Runder Tisch/Freies Georgien“ und die Koalition für den Nationalkongreß unter Tschanturia. Die politisch-ideologischen Unterschiede zwischen beiden waren minimal. Ein wesentlicher Faktor war die Altersdifferenz zwischen dem Veteranen der Dissidenz Gamsachurdia und dem jungen, daher unschuldigen und besonders rabiaten Tschanturia. Beide warfen sich bis zum Zusammenbruch regelmäßig Kryptokommunismus und Kooperation mit der Moskauer Zentrale, dem KGB und der KP vor. Im Frühsommer 1990 scheinen die beiden Lager zu einer Kooperation zu kommen. Die gemäßigte Volksfront hatte eine Verschiebung der Wahlen zum Obersten Sowjet vom März auf den Oktober erreicht. Nun verlangte Tschanturia einen Boykott der Wahlen und den Aufbau eines „Nationalkongresses“ als alternativen Parlaments. Gamsachurdia schien Anfangs zuzustimmen, trat dann aber mit seinem Bündnis Runder Tisch/ Freies Georgien doch bei den Wahlen an. Es errang 155 von 250 Sitzen und damit die absolute Mehrheit. 64 Sitze fielen an die KP, 18 an gemäßigte Organisationen. Die satte Mehrheit ermögliche es Gamsachurdia, sich an die Ausschaltung zunächst der KP, dann der übrigen Opposition zu machen.

Gamsachurdias Demokratievorstellungen

Im Mai 1991 ließ sich Parlamentspräsident Gamsachurdia vom Volk direkt zum Präsidenten wählen. Für quasi diktatorische Kompetenzen hatte er gesorgt, ihm unterstanden die örtlichen Verwaltungen direkt, sein Veto gegen Gesetze konnte nur durch schwer zu erreichende Mehrheiten überwunden werden, er konnte die Staatsbürgerschaft zuerkennen und entziehen, er war nur wegen Verrats und auch dann nur mit einer Dreiviertelmehrheit abzuwählen. Immehrin aber war er in ordentlichen Wahlen gewählt worden, auch wenn mindetens zwei seiner Gegner den Wahlkampf nicht überlebten. Auch die waren nicht zimperlich und arbeiteten mit Brandsätzen gegen Büros von Gamsachurdias Rundem Tisch/Freies Georgien.

Obwohl die nationalen Konflikte mit den „autonomen“ Einheiten Abchasien, Adscharien und Süd-Ossetien bzw. mit den Aserbaidschanern in Marneuli weitergingen und immer wieder die nationalen Emotionen unter den Georgiern selbst zum Lodern brachten, wuchs die innergeorgische Opposition gegen den immer autokratischer regierenden Gamsachurdia. Die Verhaftungen politischer Gegner, der autoritäre Führungsstil, nicht zuletzt auch eine extreme Neigung zu Verschwörungstheorien und zum Glauben an abstruse Gerüchte zeigten, daß Gamsachurdia trotz seines literarischen Hintergrundes kein kaukasischer Havel war, sondern eine Neigung zur Paranoia, dem Lieblingsirrsinn aller Diktatoren, zeigte. Der Bruch kam mit dem Moskauer Putsch vom 19. August, bei dem Gamsachurdia zu Ruhe und Ordnung statt zum entschlossenen Widerstand aufrief. Bald schwirrte das — zweifellos unsinnige — Gerücht, Gamsachurdia habe mit den Putschisten paktiert.

Demokratisch war Gamsachurdia jedoch nicht zu stürzen. Seit September schlossen die Gemäßigten — christliche Demokraten, Volksfront einerseits und die Nationaldemokraten Tschanturias, die Monarchisten, die Nationale Unabhängigkeitspartei Irakli Zeretelis u.a. andererseits — ein Bündnis. Es begannen Demonstrationen, Kundgebungen und die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen, die bis Januar 1992 anhielten. Die Studenten und Teile der Intelligenz, die Gamsachurdia bislang unterstützt hatten, liefen über. Es folgten große Teile der Nationalgarde unter ihrem Chef Tengis Kitowani. Tengis Sigua, der Mitte August zurückgetreten war, schloß sich der Koalition gegen Gamsachurdia an — der Diktator sabotiere die Wirtschaft, unterminiere Kontakte zu den USA, umgebe sich mit inkompetenten Beratern und wolle eine Diktatur in einem isolierten Staat errichten. Siguas Frontenwechsel, mit dem er seinen Ruf als kluger politischer Kopf erneut festigte, war ein Signal für viele andere, sich den Gegnern Gamsachurdias anzuschließen.

Gamsachurdia mauerte sich immer stärker wie einer Festung ein. Sein verschwörerisches Weltbild bestätigte sich für ihn, und er hatte keine Chance mehr. Seine siegreichen Gegner sind vielleicht pragmatischer. Erhard Stölting