Unheilbare Europäer im amerikanischen Exil

Die Revue „Lost in the stars and stripes“ in Berlin als Hommage an die Künstler des Jüdischen Kulturbundes  ■ Von Elke Schmitter

Berlin (taz) — „Wir sind unheilbare Europäer“, schrieb Alfred Polgar im amerikanischen Exil. Zwischen seinen „europäischen Wurzeln“ und dem „amerikanischen Boden“ lagen für ihn Welten. Doch solche Launen konnte sich ein Emigrant, der gerade aus dem nationalsozialistischen Deutschland ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten geflohen war, nicht leisten. Wer endlich das rettende Ufer erreicht hatte, mußte froh sein, auch wenn er einsam war.

Am Samstag fand im Berliner Ensemble ein denkwürdiges Ereignis statt. Diejenigen, von denen in der Revue Lost in the stars and stripes die Rede ist, waren selbst als Zuschauer anwesend. Vierzig ehemalige Künstler und Mitarbeiter des Jüdischen Kulturbundes, nach dessen Auflösung 1941 in alle Winde zerstreut, waren für eine Woche in Berlin zu Gast.

Die Revue Lost in the stars and stripes, deren Wiederaufführung im Berliner Ensemble zu Ehren der Kulturbundmitglieder von Eike Geisel und Henryk M. Broder organisiert wurde, war die Lieblingsshow der Berliner Festspiele 1987 und seitdem leider nicht mehr zu sehen. Sie ist konzipiert, zusammengestellt und gespielt von den Schauspielern Udo Samel und Sona MacDonald sowie dem Pianisten Alan Marks. Zu sehen (und zu genießen) war ein Abend, der durch den Vortrag von Gedichten, kleinen Spielszenen und bekannten und von Alan Marks komponierten Songs den schwierigen Weg deutscher EmigrantInnen in das Exil in den Vereinigten Staaten zeigt.

Nicht nur die Probleme mit der neuen Sprache waren zu meistern — im Sprachunterricht wird die Kunst des amerikanischen „r“ gelernt, bis fast die Zunge abbricht — sondern auch die Konfrontation mit dem American Way of Life. Auch das Ressentiment der deutschen Einwanderer, die sich hochnäsig über die amerikanische Unterhaltungskultur empörten, kommt nicht zu kurz. Samel las einen peinlichen Verriß über den amerikanischen Jazz (damals noch Jatz ausgesprochen) vor, der knapp an der Lächerlichkeit vorbeischrammt, um dann nach einer kurzen Pause den Autor zu nennen: Theodor Wiesengrund Adorno.

Aber das waren eher nebensächliche Probleme. Der Abend beginnt mit der Ansprache an das deutsche Volk von Thomas Mann, die aus einem kleinen Radioapparat zu hören ist. Das Radio ist dann auch neben einem Koffer der ständige Begleiter des Emigranten, wunderbar gespielt in einer Mischung aus Ängstlichkeit und Lebenswitz von Udo Samel. Ungeheuer komisch: Sein Versuch, von Sona MacDonold den Steptanz zu lernen. Mit rudernden Armen, einem blöden Lächeln im Gesicht und den tapsigen Bewegungen eines Braunbären schlingert er über die Bühne.

Sona Macdonald steht ihrem Kollegen in nichts nach, auch sie ist komisch, heiter, beschwingt — aber mit der gleichen Intensität und Überzeugung traurig, leise, verhalten. Sie plärrt, trällert und schluchzt die Evergreens, als hätte sie die zwanziger Jahre unbeschadet überstanden und würde jetzt nur schnell ein Gastspiel in der Gegenwart geben.

„Was ist Heimat?“ — diese Frage stellt sich nicht nur die deutsche, sondern auch die amerikanische Seite, mit Schmalz und Kitsch (verzeihlich, denn beim Abschied wird man meist sentimental). Gut, daß der deutsche Einwanderer nicht hören kann, wie sich das amerikanische Durchschnittsehepaar Herbert und Hazel über die schwere Belastung unterhält, die sein Kommen für sie bedeutet. Ein „Affidavit“ zu beschaffen, ist ja nur der erste Schritt.

So manche Gastfreundschaft hält die harte Belastungsprobe nicht aus. Hat man das Visum in der Hand, so steht die nächste Hürde bevor. Im Hafen von New York wird ein Ehepaar von einem „Immigration Officer“ in Empfang genommen, im atemberaubenden Tempo folgt ein musikalisches Frage- und Antwortspiel, das über Einreise oder Abschiebung entscheidet. „Name? Age? Sex?“ — Das Ehepaar bejaht die letzte Frage und blickt sich vielsagend an.

Angekommen in der neuen Heimat beginnt der steinige Alltag: Die Jagd nach einem Job respektive „odd-job“ — wie den des Philososphen Günther Anders, der in einer Requisitenkammer von Hollywood Nazistiefel putzte; das Erlernen der Sprache und der Umgangsformen. Im „Immigration handbook“ ist alles genau notiert, auch die Unwegsamkeiten dieser „kartoffligen Sprache“. Ein Broadway-Potpourrie mit Songs von Cole Porter, Richard Henderson und George Gershwin zeigt das unerreichbare Leben der anderen. Auch die Glitzerwelt von Hollywood, in der viele deutsche Künstler scheiterten, darf natürlich nicht fehlen.

Der Kriegseintritt der USA, bekanntgegeben durch das Radio, markiert einen neuen Abschnitt. Es folgen ein Durchhaltesong, ein Lied über Schickelgruber (Hitler), beide von Kurt Weill vertont, und Texte von Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler und Mascha Kalèko. Mit dem Brecht-Lied Von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens (Der Mensch ist gar nicht gut, drum hau ihn auf den Hut) endet das Programm ebenso leise, wie es begonnen hat.

Dem zustimmenden Murmeln aus dem Zuschauerraum war zu entnehmen, daß den KulturbundkünstlerInnen so manche Situation auf der Bühne nur allzu vertraut war. Standing ovations für Udo Samel, Alan Marks und Sona MacDonald. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Revue noch öfter zu sehen sein wird.

Zur Diskussion um die Geschichte des jüdischen Kulturbundes siehe die morgigen Kulturseiten.