Abchasien wieder in georgischer Hand

■ Schewardnadse zeigt Härte: Georgische Truppen marschieren in Suchumi ein und stürmen Regierungsgebäude/ Sprecher des abchasischen Parlaments flüchtet mit Abgeordneten nach Norden

In dem paradiesischen Schwarzmeerkurort Suchumi, der der kleinen Republik Abchasien auch noch als Hauptstadt dient, schmoren jetzt Panzer unter günen Palmen. Kurgäste wurden evakuiert oder haben von alleine das Weite gesucht. Eduard Schewardnadse in seiner Funktion als Leiter des georgischen Staatsrates fackelte nicht lange und machte kurzen Prozeß: Am Dienstag schickte er 3.000 georgische Nationalgardisten nach Suchumi und brachte die abtrünnige Republik wieder unter georgische Kontrolle.

Über 50 Menschen waren in der vorangegangenen Woche, nachdem Abchasien seine Unabhängigkeit von Tblissi erklärt hatte, bei Schießereien getötet worden. Was Abchasien verlangte, war Selbständigkeit im Rahmen eines Föderationsvertrages mit Georgien. Nach der Okkupation Suchumis wurde nach Angaben des georgischen Verteidigungsministers und Kunstschaffenden Tengiz Kitovani ein vorübergehender achtköpfiger „provisorischer Militärrat“ gebildet, dem Georgier und Abchasen angehören. Der Vorsitzende des abchasischen Parlaments Wladislaw Adsinba und Wortführer der Sezessionsbewegung flohen mit einigen Parlamentariern in die nördlich gelegene Stadt Gudauta.

Von dort verkündete der abchasische Parlamentsabgeordnete Surab Aschba noch gestern: „Wir werden Krieg führen, bis wir frei sind, oder bis sie uns alle vernichten.“ Zwei Vertreter des georgischen Staatsrates wurden daraufhin nach Gudauta geschickt, um mit den abchasischen Nationalisten zu verhandeln. Doch Ardsinba will nach Berichten von Interfax nur dann verhandeln, wenn sich die georgischen Truppen aus Suchumi zurückziehen. Ob bei dem Truppeneinmarsch Menschen getötet oder verletzt wurden, wußte gestern niemand genau. Doch gibt es Gerüchte, daß eine georgische Helikoptereinheit wahllos auf zivile Ziele geschossen habe.

Hilferufe Adsinbas an die Adresse Rußlands verhallten ungehört. Statt dessen sollen Anhänger seiner 1.500 Rebellen umfassenden Einheit Lager der russischen transkaukasischen Armee überfallen haben. Die Beute der Selbsthilfeaktion: über 1.000 Maschinengewehre. Ein weiterer Appell Adsinbas an den radikalen Stammesfürsten Dschokar Dudajew in der nordkaukasischen Republik der Tschetschenen war erfolgreicher. Dudajew sagte Unterstützung zu.

Bei ihm hat der verjagte ehemalige Präsident Georgiens Swiad Gamsachurdia vorübergehend eine Bleibe gefunden. Ebenfalls militärische Unterstützung sagte die Vereinigung der Völker des Nordkaukasus zu, die natürlich unter der Ägide des Tschetschenenfürsten steht. Rußland hatte zuvor an die nordkaukasischen Verbündeten der Abchasen eine deutliche Note gesandt: In der jetzigen Situation seien vor allem Zurückhaltung und Besonnenheit von nöten.

Der Konflikt um Abchasien reicht weit in die Geschichte zurück. Und es ist in der Tat fraglich, ob ein Lösungsversuch mit Waffengewalt erfolgen mußte. Besonders deshalb, weil die Lage außerordentlich verworren ist. Suchumi galt als eine der letzten Hochburgen Gamsachurdias. Hier hielten sich seine bewaffneten Anhänger versteckt, denen es allerdings nicht allein um Politik ging. Viele nutzten die Gelegenheit einfach zur persönlichen Bereicherung. Morde gehörten zur gewöhnlichen Tagesordnung.

Im Juli entführten Gamsachurdias Vasallen den Innenminister Georgiens. Bei Verhandlungen um dessen Freigabe kidnappte man ganz einfach die georgischen Unterhändler. Das ist die eine Seite des Konfliktes, die aus der Sicht Schewardnadses oder eines beliebigen Politikers den Einsatz militärischer Kräfte rechtfertigen mag.

Doch die Auseinandersetzungen zwischen Georgiern und Abchasen tragen auch nationalistischen Charakter. Ganze achtzehn Prozent der Bevölkerung des kleinen Territoriums stellt noch die Titularnation der Abchasen, die muslimisch-sunnitischen Glaubens sind. Fast die Hälfte der Bevölkerung sind Georgier. Der Rest verteilt sich auf Russen und Griechen. Angst vor weiterer Überfremdung führte schon vor der Perestroika zu wiederholten brutalen Zwischenfällen. Schrittweise demontierten die Georgier die abchasische Autonomie, in der sie ein Kunstprodukt der Russen sehen, die damit Georgien bei der Stange halten wollten.

Zudem klagen Georgier, sie würden in Abchasien wirtschaftlich und kulturell diskriminiert. Beide Seiten haben aus ihrem isolierten Blickwinkel recht. Zusicherungen Schewardnadses, die kulturelle Autonomie Abchasiens werde der Staatsrat nicht anrühren, stießen auf wenig Widerhall. In Suchumi mag man dem keinen Glauben mehr schenken. Denn der georgische Nationalismus kennt eigentlich keine Kompromisse. Truppen unter Palmen in Suchumi sind alles andere als ein Friedenssignal.