„Die Medizin kennt ihre Grenzen!“

■ Erlanger Ärzte rechtfertigen Experiment mit hirntoter Schwangerer/ Fieber könnte Grund für Abgang des Fötus sein

Erlangen (taz) – Als alles vorbei war, als ein Bestattungsunternehmer die Leiche von Marion P. und den toten Fötus aus dem Rechtsmedizinischen Institut der Universität Erlangen abgeholt hatte, gab es erstmals eine Pressekonferenz im Hörsaal der Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg. Da saßen sie, die verantwortlichen Medizinprofessoren, und trugen eine Mischung aus Selbstgefälligkeit und Enttäuschung zur Schau.

Selbstgefälligkeit darüber, daß sie das Experiment gewagt hatten. „Die Grundzüge ärztlichen Handelns heißen: Leiden verhindern und Leben retten. Das haben wir getan, wir hatten keine andere Wahl.“ So rechtfertigte der behandelnde Arzt Johannes Scheele noch einmal den Entschluß eines ausschließlich männlichen Medizinergremiums, die hirntote Schwangere über Monate bis zur „Geburt“ ihres Kindes künstlich zu beatmen. Der Direktor der Chirurgischen Klinik, Franz Gall, wehrte sich gegen den Vorwurf, hier sei ein Leichnam als Gebärmaschine mißbraucht worden. Diese „Sprachverwirrung“, so Gall, verletze die Würde der Frau und nicht die Anstrengung, ihre Leibesfrucht zu retten: „Marion P. wollte dieses Kind, und ich bin ganz sicher, daß sie unserem Vorgehen zugestimmt hätte, wenn sie noch die Möglichkeit dazu gehabt hätte.“

Enttäuscht sind die Mediziner, weil sich die Eltern von Marion P. standhaft weigerten, die Leiche ihrer Tochter und den toten Fötus obduzieren zu lassen. Selbst die Untersuchung der Plazenta, des Mutterkuchens, der zusammen mit dem Fötus und der Nabelschnur abgestoßen worden war, hätte genügt, den Grund für den „Spontanabortus“ festzustellen. „Doch es wäre sinnlos gewesen“, so der Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling, „wir hätten die gewonnenen Erkenntnisse nicht veröffentlichen können, weil sie auf verbotenem Wege zustande gekommen wären“. Warum es zu dem für die Ärzte unerwarteten Spontanabgang kam, bleibt also ungeklärt. Fest steht, daß in den Stunden vor der Fehlgeburt bei Marion P. eine erhöhte Körpertemperatur festgestellt wurde, „deren Ursache nicht klar war“, so Gall. Am ehesten kommen dafür entzündliche Lungenveränderungen in Frage. „Es ist bekannt, daß Fieberanfälle zu Aborten führen können“, faßte der Gynäkologe Norbert Lang die ärztliche Ratlosigkeit zusammen.

In der Bundesrepublik sollen bisher mindestens fünf Babys im Leib einer hirntoten Mutter ausgetragen worden sein. Nach Angaben Scheeles haben sich bei ihm in den letzten Wochen fünf Familien gemeldet, in denen ein solches Kind lebt. Die Kinder seien durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen und offenbar gesund. Da es sich jedoch um „laienhafte Darstellungen“ gehandelt habe, könne er keine Details nennen.

In einem anderen Punkt sind die verantwortlichen Mediziner weniger unsicher: „Für die Medizin kann es keine durch die Gesellschaft vorgegebenen Grenzen geben“, meinte Gall auf die Frage nach den Lehren, die aus dem Fall Marion P. gezogen werden müssen. „Die Medizin kennt ihre Grenzen selbst, und sie werden ständig erweitert.“ Paul Wittmann