„Alibiübung“ in Genf geht weiter

■ Jugoslawienkonferenz geht ihren nutzlosen Gang/ Heftige Kritik an Genscher: Anerkennungspolitik für Blutvergießen verantwortlich

Genf (taz) – Keine Empfehlungen für zusätzliche militärische Maßnahmen werden von der heute in Genf stattfindenden Sitzung des Leitungsausschusses der Jugoslawienkonferenz erwartet, an der 32 Außenminister und Botschafter aus EG- und islamischen Staaten sowie der USA, Rußlands, Chinas, Kanadas und Japans teilnehmen. Ein entsprechender Beschluß käme einer Desavouierung des von der UNO benannten Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance gleich. Vance hatte sich zuletzt am Freitag vergangener Woche entschieden selbst gegen militärische Maßnahmen zur Durchsetzung des Flugverbotes gewandt. Laut Angaben aus seinem engsten Umkreis erwägt der ehemalige US- Außenminister ohnehin, aus Frustration über den bisherigen Verlauf der Konferenz seinen Auftrag zurückzugeben und im Januar in die USA zurückzukehren.

Auch die Zukunft des zweiten Konferenzvorsitzenden David Owen, der im August von der in zwei Wochen auslaufenden britischen EG-Präsidentschaft für diese Funktion benannt worden war, ist noch ungewiß. Bei den meisten der für die Genfer Konferenz verantwortlichen Staaten der EG und des UNO-Sicherheitsrates überwiegt aber derzeit noch das Interesse, diese „Alibiübung“ (Bosniens Außenminister Silaizdic) fortzusetzen. So dürften die islamischen Staaten heute zwar das „Versagen des Westens“ kritisieren, sich mit der Forderung nach Empfehlungen für weitergehende Maßnahmen aber nicht durchsetzen. Für das Desaster der westlichen Politik gegenüber Ex-Jugoslawien wird von EG- und UNO- Diplomaten vor allem die von Deutschland durchgesetzte Anerkennung Kroatiens und Bosnien- Herzegowinas verantwortlich gemacht. Schon vor einigen Wochen ließ Vance auf eigene Initiative hin an Genfer Journalisten die Briefe verteilen, in denen er, UNO-Generalsekretär Butros Ghali beziehungsweise dessen Vorgänger Perez de Cuellar sowie Ex-EG-Unterhändler Lord Carrington im Frühjahr 1992 beziehungsweise Herbst 1991 vor einer Anerkennung der beiden ex-jugoslawischen Republiken gewarnt hatten, die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas führe zum Krieg. Das Gegenteil behauptete Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in seinen inzwischen ebenfalls von Vance in Genf veröffentlichten Antwortschreiben: Nur die schnelle Anerkennung könne einen Krieg in Bosnien-Herzegowina verhindern. Genscher habe seine Anerkennungspolitik „in der EG durchgepeitscht und ist damit wesentlich für das Blutvergießen in Bosnien verantwortlich“, erklärte der Vance-Vertraute Herbert Okun. Andreas Zumach