Davongekommene Stasi im pièce bien fait

■ Zur Wiederaufnahme von „Der Profi“ von Dusan Kovaćević am Potsdamer Theater

An einem Beinbruch lag es, den sich einer der Schauspieler am Potsdamer Hans-Otto-Theater, Gerd Staiger, während einer Orgie in Oliver Bukowskis „Inszenierung eines Kusses“ zugezogen hatte. Recht spät in die Spielzeit fällt daher die Wiederaufnahme von Dusan Kovaćevićs „Der Profi“, einer hervorragend besuchten Komödie zur Stasi-Problematik, die den gegenwärtigen Eindruck des Potsdamer Theaters wesentlich aufwertet und deren Verfilmung fürs Fernsehen bevorsteht. Echte Komödien sind tragischen Inhalts, nur geht um Haaresbreite und zufällig alles gut aus. Von einer Tragödie unterscheidet sich die in einer bizarren Unterredung aufgerollte Vergangenheit zwischen dem oppositionellen Schriftsteller Theodor Kraj (Gerd Staiger), der nach dem Zusammenbruch der Staatsparteiherrschaft zum Verlagschef avancierte, und dem persönlich auf ihn angesetzten Polizeibeamten nur dadurch, daß ihm der Mord in einem Zug und andere Anschläge aus zufälligen Umständen mißlangen. Die Schrecken, mit denen der Schriftsteller sich nachträglich konfrontiert sieht, spielt Gerd Staiger gleichsam so weit herunter, daß in den Schockmomenten mit dem Spiel auf den Brettern die Welt stehenzubleiben scheint, also keine platten theatralischen Ausbrüche, sondern implosive Emotionalität. Die Inszenierung von Bernd Weißig berücksichtigt die Nachdenklichkeit fördernde Ausgewogenheit des pièce bien fait. Der GUTE, der Schriftsteller, der Humanist, wird vom BÖSEN mit einem guten, verführerischen, ja, treuherzigen Anliegen aufgesucht. Der unmerklich hinkende Spitzel Lukas Laban (Roland Kuchenbuch) sammelte in 18 Beobachtungsjahren – anfangs unter Drohung seines Sohnes, eines Literaturprofessors, dann aus Langeweile bei der Beobachtung, als Freizeitbeschäftigung, auch aus einer Art Freundschaft in schiefer Vertrautheit – gleichsam mit herausgeberischer Sorgfalt die verbotenen und beschlagnahmten Werke, was illegal war (!). Nun bietet der Grausame sie dem Verlagschef zur Veröffentlichung an – mit wechselreichem Spiel von Kuchenbuch: Hochachtung, einschmeichelnder, sicherer Liebe, mit der Berechnung desjenigen, der mit seinem Pfund um eine neue Existenzmöglichkeit wuchert. Die Spannung reichert sich zwischen den beiden, die unbekannterweise wesentliche Momente ihres Lebens wie selten gute Freunde teilten, indes in einer wahnhaften Irritation des Verlagschefs an. Die Konfrontation mit der Vergangenheit, die er selbst schon zur Beruhigung verdrängt und vergessen hatte, reibt ihm die Nerven auf. Er zerreißt alle Bindungen, vor allem die zu seiner hübschen, von Rita Feldmeier elegant, weich und lieblich gespielten Sekretärin, die den Besucher hinausbefördern will, um ihren Geliebten vor dem nervlichen Zusammenbruch zu retten und überhaupt in ein bewußtloses Reich der Liebe und des süßen Alltags zu entführen. Schmerzlich ist, wie uns das naheliegende Happy- End entzogen wird. Wir sehen statt dessen, seine wahnhafte Radikalität ist eine Gesundung. Sie schützt davor, in ein besseres Leben abzutauchen und als Davongekommener bequem und einfach zu vergessen. Von stiller Raffinesse ist auch das Bühnenbild. Scheinbar dem Realismus verpflichtet, zitiert es die kleinbürgerliche Geschmacklosigkeit und Unproduktivität des Sozialismus und darin die ganze geistige Enge, in der der Verlagschef auch jetzt noch walten muß. Aber die Welt ist zersprengt. Sämtliche Linien der Einrichtung und des Zimmers weiten sich nach oben, wie wenn sie tief unter sich eine Explosion als Fluchtpunkt hätten. Gaze vor dem Bühnenkasten rückt das Geschehen in eine etwas uneindeutige Ferne und läßt alles wie unter Staub erscheinen. Doch darunter zittern noch die Nerven von den Schocks der Vergangenheit, wiederholt in einem unmerklichen Lichtwechsel, der das Bühnenbild zwei Sekunden warm, zwei Sekunden kalt erscheinen läßt.

Die Wiederaufnahme fördert sicher die Vergangenheitsbewältigung, die weithin Familien und Verwandtschaften belastet und zersplittert, und entlastet gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten die innige Einkehr der Familien.

Dusan Kovaćević wurde 1948 in Serbien geboren, lebt in Belgrad als Dozent der Akademie für Theater, Film, Rundfunk und Fernsehen. Sein Aufenthaltsort ist zur Zeit unbekannt. Seine letzte Aufführung war die von „Profi“ 1990, das in Deutschland erstmals in München gezeigt wurde. Er schrieb bisher acht Theaterstücke, unter anderem „Der balkanische Spion“ (1983), und arbeitete für Film und Fernsehen. Bernhard Pötter