Schriften zu Zeitschriften
: Nicht ferngsteuert

■ Die finnische Zeitschrift „Saxa“ über Literatur und Stasi

Wer Finnland nur aus den Filmen der Gebrüder Kaurismäki kennt – als Ort kollektiver Depressionen –, käme wohl kaum auf die Idee, 500 Kilometer nördlich von Helsinki, im Österbotten, nach Anregung für den Umgang mit deutscher Literatur zu suchen. Dort aber, in der Provinzhauptstadt Vaasa, gibt es eine ehemalige Handelshochschule, die heute Universität ist, und an der Universität gibt es eine eher kleine, aber regsame Deutsche Abteilung. Hier werden nicht nur alljährlich opulente Arbeitstreffen in schönster Umgebung veranstaltet, bei denen unter anderen schon Schriftsteller wie Emine Sevgi Özdamar, H.C. Artmann, Oskar Pastior und Rafik Schami zu Wort gekommen sind; das Institut gibt auch seit 1990 auch deutschsprachige Heftreihe mit dem Titel Saxa heraus. Saxa ist die orthographisch verfremdete Form des finnischen Worts für „Deutschland“: „Saksa“.

Je ein Autor breitet auf den drei Dutzend Seiten des Hefts etwa seine Bedenken zur finnischen Germanistik aus (Georg Gimpl), stellt die sympathisch einfach klingende Frage, warum literarische Texte auch linguistisch interessant sind (Henrik Nikula), mutmaßt über die Genese der sarmatischen Gedichtbandtitel von Bobrowski (Eberhard Haufe) oder bietet – aus berufener Feder des Lyrikers – einen essayistischen Überblick über finnische Literatur in Deutschland (Manfred Peter Hein).

Was in aktuellen Literaturbeilagen als Angelegenheit mit nachlassendem Unterhaltungswert gilt, die Verquickung von in der DDR entstandener Literatur und Staatssicherheit, ist Thema dreier „Annäherungen an meinen Prenzlauer Berg“ des ostdeutschen Germanisten Michael Gratz in Heft 9 von Saxa. Die ganze Palette möglicher Äußerungen – vom IM-Outing bis zur Denunziation des Feuilletons als moralistisches Standgericht – ist in der Publizistik bisher ausgeschöpft worden, und am Ende steht die Frage, die schon am Anfang der Debatte stand: Was bleibt?

Für Saxa-Autor Michael Gratz bleibt das Erlebnis später DDR-Jahre, am Nonkonformismus dieser Literatur teilgehabt zu haben, eine Lektüre und Lebenserfahrung, die er gegen den Vorwurf geheimdienstlicher Fernlenkung der ostdeutschen Literaturszene verteidigt – „denn wann je wäre eine Geheimpolizei ästhetisch produktiv gewesen?“ Gratz macht an der Vielfalt der literarischen Subkulturen in der DDR deutlich, daß dem Thema weder durch Laudatio noch durch Philippika beizukommen ist. Nicht allein von einem Stadtbezirk, einem Freundeskreis und einer Generation ging die nichtoffizielle DDRLiteratur der achtziger Jahre aus.

Die Szene gab es auch in Leipzig und Dresden, und schon lange bevor Schedlinski und Anderson den Umgang mit der Stasi pflegten, hatten sich Schriftsteller wie Wolfgang Hilbig und Gerd Neumann (Jahrgang 1941 bzw. 1942) vom offiziellen DDR- Literaturbetrieb verabschiedet. Schon sie hatten es abgelehnt – im Unterschied zur Generation von Volker Braun –, mit ihrer Arbeit alles das an kritischer Öffentlichkeit zu ersetzen, was die Gesellschaft nicht leistete. War das Feigheit, die Flucht vor den wirklichen Problemen des Landes in schöngeistige Gefilde?

Gratz zeigt, daß die verschiedenen Haltungen der Schriftsteller zur Gesellschaft auf unterschiedliche Erfahrungen mit dem Staat gründen. Wer seine Literatur nicht als Artikulationsfeld von Regimekritik verstand, mußte deshalb nicht gleich zum Stasi-Spitzel werden. Die Faszination von dekonstruktivistischer Sprachkritik darf nicht einfach als Folge einer Charakterschwäche gedeutet werden. Wer würde schon behaupten wollen, daß es in der Schriftstellergeneration von Biermann/Kahlau weniger Opportunismus gab, als in der von Papenfuß/Anderson? Und ist die pauschale Verurteilung einer ganzen Literaturszene als Stasigezücht nicht ebenso abwegig, wie es der Vorwurf der Anbiederung wäre, würde man ihn gegen jene Schriftsteller richten, die unterschiedlich lange Zeit an die Reformierbarkeit des DDR-Regimes glaubten?

Gratz setzt in seinem Beitrag auf Differenzierung, und er verknüpft die Texte, die er vorstellt, mit seiner eigenen Biographie. Gegen die Attitüde des vom westlichen Feuilleton verprellten Ostbürgers setzt er eine Haltung, die nach den euphorischen Monaten des Mauerfalls schnell wieder verschüttet wurde: „Wir müßten daran gehen, uns unsere jeweiligen Biographien vorzubuchstabieren.“ Daß der Beitrag von Michael Gratz in einer finnischen Zeitschrift erschienen ist, sagt beiläufig viel über die Chancen einer solchen Wunschvorstellung hierzulande aus. Peter Walther

Bezug: Saxa, Universität Vaasa, PL 279, FIN-65101. Die Hefte kosten je nach Umfang und Ausstattung zwischen 10 und 15 DM. Eine Liste mit den bislang erschienenen Titeln ist über dieselbe Adresse erhältlich.