Auf den Spuren der Christen

Die christliche Minderheit in Ägypten ist Zielscheibe militanter Islamisten. Das Trennende der Religionen überdeckt die Übereinstimmung von Muslimen und Kopten in ihrer Kultur.  ■ Von Edith Kresta

Die Klöster

Der Innenraum der kuppelförmigen Basilika liegt in gedämpftem Licht. Teppiche und Matten auf dem Steinboden mildern die Kälte an den nackten Füßen. Ein unbarmherziger Geruch drängt sich auf: nach Füßen, deren schweißtreibendes Schuhwerk am Eingang abgelegt wurde. Im Vorraum des Kirchenschiffes sitzen Frauen auf dem Boden. Ein Kind schläft auf den ausgestreckten Beinen der Mutter. Weihrauchschwaden ziehen durch den muffigen Raum. Die monotonen, archaischen Hymnen, die die Mönche stundenlang rezitieren und mit Zimbelklängen rhythmisch begleiten, lullen ein. Die religiöse Meditation macht das lange Stehen vor dem Sanktuarium – Frauen links und Männer rechts – erträglich.

„Ich bin Kopte“, sagt Markus, der junge Fremdenführer aus Kairo. Stolz zeigt er das eintätowierte Kreuz auf der Innenfläche seines Armes. Während unserer Reise zu den Klöstern des Wadi An Natrun nördlich von Kairo unterhält er mit den schwärzesten Heiligengeschichten. Alle legendären Orte, welche die Heilige Familie einst auf ihrer Reise nach Ägypten beehrt haben soll, kennt er bestens. Er ist ein treuherziger Gefolgsmann seines orthodoxen Glaubens. Zum Abschied schenkt er uns ein selbstsigniertes Heiligenbild von Markus, dem Drachentöter. Ohne Zweifel sein Idol.

„Ich liebe die Einsamkeit“, gesteht der schöne Joanes. Er ist Mönch im Kloster von Anba Bishoy und führt deutsche Gruppen. Unmönchisch direkt strahlen seine dunklen Augen unter der mitraähnlichen Kapuze hervor. Seine Späßchen passen nicht so recht zu diesem dämonenfürchtigen Umfeld. Joanes hat autodidaktisch Deutsch gelernt. Die Kontemplation in den Klöstern des Wadi An Natrun ist der Geschäftigkeit des Pilgertourismus gewichen. Insbesondere einheimische Kopten pilgern hierher. Inbrünstig berühren sie die Devotionalien und streichen dann mit den Händen salbungsvoll über den Körper.

Der alte Mönch Nikodemus im Nachbarkloster Surian relativiert den weltnahen Eindruck des schönen Joanes. „Der Mann ist der Kopf der Frau“, erklärt er aufgebracht. „Eine Frau als Priesterin? Ketzerei!“ Die Frau sei biologisch unrein. Während ihrer Regel muß sie der Kirche fernbleiben. Der koptisch-orthodoxe Glaube ist rückwärtsgewandt. Die Kopten gelten als Nachkommen der vorchristlichen Bevölkerung des Nillandes. Die Erben der ältesten christlichen Gemeinde verstecken sich hinter einem Schutzwall von Geschichte und Tradition. Den frischen Wind der Aufklärung haben die dicken Mauern der koptisch- orthodoxen Kirche abgehalten.

Christlich-islamischer Dialog

„Es gibt auch einen koptischen Fundamentalismus, der die Leute davon abhält, am Leben der Gesamtgesellschaft teilzunehmen“, sagt Ibrahim Makram. Er ist Direktor der koptisch-evangelischen Organisation für soziale Dienste (COESS) in Minia, etwa 400 Kilometer südlich von Kairo. Im Gegensatz zu der koptisch-orthodoxen Kirche, deren Sozialprojekte vor allem für die eigenen Schäfchen gedacht sind, arbeitet COESS mit islamischen Wohlfahrtsorganisationen zusammen. Rund 20 Prozent Christen leben in dieser als Hochburg der Islamisten bezeichneten ländlichen Region zwischen Minia und Assiut. Die Minderheit der Kopten – für ganz Ägypten werden etwa acht Millionen geschätzt – ist vor allem in den Armengegenden Zielscheibe militanter Islamisten. „Konflikte zwischen beiden Glaubensrichtungen spielen sich fast ausschließlich in sozialen Brennpunkten ab“, sagt Ibrahim Makram. „Wer keine Rettung sieht, flüchtet sich in Extremismus“, bestätigt ihn Mohamed Machmut, der muslimische Laienprediger und Chef der islamischen Wohlfahrtsorganisationen.

Dabei unterscheiden sich Lebensgewohnheiten und Traditionen der beiden Glaubensgruppen kaum. Auch nicht die Rolle der Frauen. Christen und Moslems beschneiden die Frauen in schlechter alter Tradition: 50 bis 75 Prozent der Frauen in der Stadt und 80 bis 100 Prozent der Frauen auf dem Land sollen nach offiziellen Schätzungen immer noch beschnitten sein. Das gesetzliche Verbot von 1952 konnte diesen Gewaltakt sexueller Verstümmelung nicht stoppen. Und während die muslimische Frau immerhin die Möglichkeit zur Scheidung hat, ist die christliche fürs Leben an ihren Gatten gekettet. „Die Unterdrückung der Frau ist keine Sache der Religion, sondern ein Bestandteil unserer gemeinsamen orientalischen Kultur“, betont der Evangele Ibrahim. Ein Schwerpunkt der Sozialprojekte von COESS ist die Arbeit mit Frauen. Rund 80 Prozent der Frauen in ländlichen Regionen sind Analphabetinnen. In Schulungsprogrammen soll ihnen Lesen und Schreiben, Hygiene, Geburtenkontrolle und Aufklärung über die Beschneidung vermittelt werden. Seit vierzig Jahren ist COESS aktiv. Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe.

COESS arbeitet inzwischen, wie viele der islamischen Wohlfahrtsorganisationen, in gemischt- koptisch-muslimischen Gemeinden. „Das setzt uns fundamentalistischer Kritik beider Religionsgruppen aus“, sagt Ibrahim. „Vor acht Jahren begann der Dialog zwischen Christen und Moslems“, erzählt der muslimische Laienprediger Machmut, ganz aufgeklärter Patriarch. „Christliche und islamische Organisationen können zusammenarbeiten. Denn es geht um die Entwicklung unserer gemeinsamen Gesellschaft. Wir verstehen und tolerieren uns.“ Klare Worte in einer Zeit, da radikale Islamisten die Wertediskussion auf ihre Art führen und sowohl Kopten als auch Touristen attackieren.

Anfang dieses Jahres trafen sich christliche und muslimische Führer aus dieser Region zum religiösen Dialog. „Es gibt keinen gravierenden Unterschied in den Werten“, behauptet der koptisch-evangelische Ibrahim. „Der Islam ist die Hauptquelle unserer Gesetze, und das ist normal in einem islamischen Land. Wir Christen können damit leben. Nur wer sich der Gemeinschaft entzieht, hat Angst vor der Scharia.“

Auf dem Dorf

Kleine Bewässerungskanäle ziehen sich durch schattige Palmenhaine und Zuckerrohrplantagen. Dazwischen wird Mais angebaut. Wasserbüffel grasen am Straßenrand. Frauen in knallbunten Kleidern waschen an den Kanälen die Wäsche – trotz Aufklärungsarbeit über die Bilharziosegefahr in den stehenden Gewässern: Objektiver Mangel an Wasser und die Gewohnheit ans gemeinsame Ritual untergraben die Aufklärung.

Eine Lehmstraße führt vom Nil nach Der Abu Henis. Das 12.000- Einwohner-Dorf ist mit fünf Kirchen hochgerüstet: drei koptisch- orthodoxe, eine evangelische und eine neuapostolische. Das alte Kloster im Dorf erleichterte es offensichtlich den Missionaren der reformierten Kirchen, ihr Christentum von dieser Bastion aus zu verbreiten. Aus dem Lautsprecher der koptisch-evangelischen Kirche scheppert aggressiv das Wort zum Sonntag. An jedem Haus ist irgendwo ein Kreuz eingeritzt.

Der Abu Henis ist eines der ersten Projektdörfer von COESS. Seit zweieinhalb Jahren fährt die Organisation eine neue Strategie. Man arbeitet mit den Führern der Dörfer, egal ob sie Muslime oder Christen sind, zusammen. „Erst über deren Einfluß können wir die Leute dazu bewegen, ihre eigenen Probleme selbständig anzugehen“, weiß Ibrahim, der Leiter von COESS. Nur vorübergehend leben die Mitarbeiter von COESS in den Dörfern. Sie sollen Leute dort ausbilden, die die Arbeit dann aus eigener Kraft übernehmen.

Om Hedi, die Leiterin des Frauenprogramms, lädt uns in ihr Haus. Zwei Pritschen, eine bunte Matte und ein Gaskocher stehen in den zwei Zimmern. Sieben Personen wohnen hier: Om Hedi mit Mann, zwei Töchter, ein Schwiegersohn und zwei Enkel. Der einzige Schmuck an der kahlen Wand ist eine lieblich lächelnde Madonna mit Kind.

Zwölf Führerinnen teilen sich das Dorf in kleine Gruppen. Sie sprechen mit den Frauen über Beschneidung, die frühe Hochzeit und Empfängnisverhütung. In der Bibelstunde montags wird das Lesen gelehrt. Die 45jährige Om Hedi selbst ist stolz darauf, nur zwei Kinder zu haben und lesen zu können. Und die Beschneidung der Frauen, sagt sie, sei im Dorf fast ganz zurückgegangen.

Kein Abfall liegt auf den Sandwegen. Gegenüber einer orthodoxen Kirche mit rosa und rotem Plüsch hat sich ein Kleinstwarenhändler – Nudeln, Reis, zwei Pakete Zucker und Streichhölzer – mit Krediten der COESS eingerichtet. Kredite erhielt auch Rabia: Sie näht nun auf der alten neuen Singer-Nähmaschine für bescheidene Aufträge.

Kleine persönliche Verbesserungen, mehr Hygiene und der Rückgang der Geburtenzahlen sind die Erfolgsmeldungen der organisierten Hilfe. Kleine Fortschritte vor dem Hintergrund der bedrückenden geistigen und materiellen Armut in diesem und anderen Dörfern. Eine Armut, die von der Fehlernährung bis zum Verharren in archaisch anmutenden, religiös verfestigten Lebensmustern reicht.

Soziale Waffenschmiede

„Der Islam bekämpft nicht die Reichen, aber er versucht die Armen aufzurichten“, meint Mohamed Machmut. Darin sieht er auch die Aufgabe der Föderation islamischer Sozialprojekte. Eine Zusammenarbeit von Kopten und Muslimen wie in Minia ist nicht die Regel. Gemeinsam wird hier versucht, an sozialen Brennpunkten zu löschen, um den politischen Bränden den Zündstoff zu nehmen. Überall mangelt es an sauberem Wasser, Elektrizität, ausgewogener Ernährung, Schulbildung, Arbeit – an Lebensperspektive für einen Großteil der ägyptischen Bevölkerung. Die vom IWF gefordete Privatisierung verschärft die soziale Situation. Bankrotte Staatsbetriebe aus der Nasser- Zeit, die zumindest ein geringes Auskommen garantierten, sollen geschlossen werden. Nur ein geringer Teil kann auf Arbeit im Privatsektor hoffen. Auf dem Land laufen die alten Pachtverträge aus. Viele werden sich die neuen Verträge nicht leisten können und das Millionenheer der Armen in Kairo verstärken. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Das Mißtrauen gegenüber der staatlichen Bürokratie und Korruption sitzt tief. Trost und Stabilität gibt einzig die Religion in einer ohnehin religiösen Gesellschaft. Ein guter Nährboden für religiöse Fanatiker jeder Couleur.

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Fortsetzung

Wertediskurs statt Programmatik

Im Büro des ägyptischen Schriftstellers Naghib Mafouz bei der Regierungszeitung Al Ahram treffen wir den islamischen Intellektuellen Fahmy Hewedy. Er ist Autor diverser Bücher zum Islam und Kolumnist in Al Ahram. Heftig kritisiert er das Regierungsverbot der Muslimbrüder: „Jede Gruppe sollte das Recht haben, sich zu organisieren und zur Wahl zu stellen“, fordert Hewedy. „Die Regierenden sagen, daß sie die Demokratie gegen den Islam verteidigen, aber sie verteidigen nur ihre eigenen Sitze. Die verbotene Muslimbruderschaft hätte, wenn sie zugelassen wäre, die Mehrheit“, prognostiziert er. Was die unverwechselbare soziale und ökonomische Programmatik eines islamischen Staates ausmache? Selbst für den Intellektuellen Hewedy stehen die Antworten auf alle drängenden Fragen der Gegenwart im Koran.

Auch Esan Arian, führendes Mitglied der Muslimbruderschaft in der Ärztegewerkschaft, hat darauf keine andere Antwort. Zwar begrüßt er analog der offiziellen Politik ausländische Investoren und verurteilt die Anschläge auf Touristen. Ansonsten verweist auch er nur auf die Scharia. Der religiöse Diskurs kompensiert die Konfrontation mit den existentiellen Problemen des Landes.

Ibrahim Makram, der evangelische Leiter von COESS, ist überzeugt, daß eine Regierungsbeteiligung die Ausstrahlung der Muslimbrüder rapide schwächen würde: „Angesichts der realen Herausforderungen haben sie nichts zu bieten, sie haben keinerlei konkrete Ansätze parat. Ihr Spiel mit der Unzufriedenheit wird schnell mangels Lösungsvorschlägen auf sie selbst zurückschlagen.“

Ohne sich bewähren zu müssen geistert das Ideal vom islamischen Staat weiter in der gesellschaftlichen Grauzone. Die koptische Minderheit fürchtet zu Recht die unberechenbare Militanz radikaler Islamisten. Tätliche Übergriffe sind keine Seltenheit. Und die Weltenbummler der westlich- christlichen Kultur bleiben nach den Anschlägen auf Touristen massenhaft fern. Ihre fehlenden Devisen verschärfen die wirtschaftliche Not. Die wenigen Unverzagten, die in Watte verpackt weiterhin den Nil herunterschippern, fühlen sich mehr denn je in kulturellem Feindesland. Da wird die monotone Hymne in der koptischen Basilika schnell zum vertrauten Heimatklang – während der Ruf des Muezzins den Morgenschlaf stört.