Zapatistenbewegung ist nicht vom Himmel gefallen

■ Was zu Beginn nur als „Neujahrsspuk“ wahrgenommen wurde, stellte sich schon bald als jahrelang vorbereitete Aktion einer potenten Militärorganisation heraus

Grüne Augen soll er haben, hellbraune Haare und mindestens zwei Fremdsprachen fließend beherrschen. Viel mehr vermag man in Mexiko zur Stunde über den schon jetzt legendären „Comandante Marcos“, der in der Neujahrsnacht der „illegalen“ PRI-Regierung den „Volkskrieg“ erklärt hatte, kaum zu sagen. Doch schon diese spärlichen Angaben zur stets maskierten Person kommen der mexikanischen Regierung nicht ungelegen: In ihren Augen ist der Guerillaführer ein weißer Verführer. Seit Beginn des Konflikts versuchte die Führung in Mexiko- Stadt die bewaffnete Revolte der indianischen Rebellen als das Werk von ortsfremden „Profis der Gewalt“ zu präsentieren, die die Verzweiflung der marginalisierten Indianer für ihre eigenen „ideologischen Zwecke“ nutzten. Entlarvend ist dabei schon der rassistische Unterton, mit dem heute wie seit Jahrhunderten den seit jeher rebellischen IndianerInnen von Chiapas die Fähigkeit zu Organisation und politischer Militanz abgesprochen wird.

Tatsächlich gilt mittlerweile als sicher, daß der junge Comandante – sein Alter wird auf Mitte 20 geschätzt – weder indianischer Abstammung noch in Chiapas geboren ist. Augenzeugen beschreiben den selbstsicher auftretenden Comandante mit den vollendeten Umgangsformen eher als Mestizen, und er selbst versichert, „wie alle anderen in unseren Reihen“ gebürtiger Mexikaner zu sein.

Über die mysteriöse Figur des Comandante hinaus, der sich bescheiden als „operativer Beauftragter“, nicht als Kopf der Guerilla bezeichnet, wird zur Zeit vor allem über das Woher der „Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung“ (EZLN) spekuliert. Denn was in der mexikanischen Öffentlichkeit zunächst als „Neujahrsspuk“ wahrgenommen und dargestellt wurde, stellt sich mittlerweile als potente militärische Organisation heraus, die alle Merkmale einer „richtigen“ Armee aufweist: Uniformen, Ränge, Waffen, militärische Logistik und Ausbildung. Nach einer Studie des Innenministeriums, das in den ersten Tagen noch hartnäckig an der Version von „200 Gesetzesbrechern“ festgehalten hatte, besteht die subversive Infrastruktur aus mindestens 15 Trainingslagern im Lacandonischen Regenwald, einem modernen Waffenarsenal, Gesundheits- und Versammlungszentren, Verstecke sowie einem Netz von immerhin 172 illegalen Radiostationen.

Deutlich geworden ist inzwischen auch, daß die militante Zapatistenbewegung, deren Mitgliederzahl auf mehrere tausend geschätzt wird – Experten zufolge könnten es sogar „bis zu 10.000“ sein –, keinesfalls vom Himmel gefallen oder gar „importiert“ ist. Mit dem ersten Indianerkongreß in San Christóbal im Jahr 1974 begann sich eine breite Bauernbewegung zu formieren, der sich städtische radikale Gruppen, meist maoistischen Zuschnitts, anschlossen. Delikaterweise sind einige der StudentInnen, die vor 15 bis 20 Jahren die Bewohner des Lacandonischen Regenwaldes maoistisch agitierten, nach Recherchen der Wochenzeitschrift Proceso heute hochstehende PRI-Funktionäre – zuständig für Agrarfragen. Schon Mitte der siebziger Jahre entdeckte die Armee Trainings- und Waffenlager der „Bewaffneten Streitkräfte zur Nationalen Befreiung“ (FALN), die nach ihrer Niederschlagung Jahre später als „Kräfte der Nationale Befreiung“ (FLN) wiederbelebt wurde. Als deren militärischer Arm wurde 1983 die „Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung“ (EZLN) gegründet.

Seit Anfang 1993 wurde die militärische Vorbereitung in den Bergen zum „offenen Geheimnis“, wie die unabhängige Tageszeitung Jornada in einem Rückblick schreibt. In den ersten drei Monaten „verschwanden“ nach und nach alle Führer aus den Ortschaften. Schon im Frühjahr 1993 registrierten Armeeleitung und Behörden erste Anzeichen subversiver Bewegungen im Lacandonischen Regenwald. Mehrmals kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Armee.

Zwar unterscheidet sich die EZLN erheblich von der peruanischen Guerilla Sendero Luminoso. Nach Jornada-Recherchen verteilten aber im Juni letzten Jahres Sendero-Sympathisanten Propagandamaterial im jüngst umkämpften Ocosingo, in dem sie „einen bewaffneten Aufstand in Chiapas“ ankündigten. Über mögliche EZLN-Verbindungen in das südamerikanische Andenland liegen bislang keinerlei Hinweise vor. Die EZLN selbst bestreitet derlei Beziehungen energisch.