Zeit für schlechtes Gewissen

Linke und Alternative, die für sich und gutes Geld putzen lassen, sind schon lange keine Minderheit mehr / Wenn die Putzfrau kommt, sucht mensch das Weite  ■ Von Uwe Rada

„Wie bitte“, fragt Carolina L. ungläubig, „ob ich eine Putzfrau habe?“ Sie hat! Und es ist ihr peinlich: „Das bleibt aber anonym, ja!“ Dabei bräuchte sich Carolina L., Lektorin eines ehemaligen DDR- Verlages, gar nicht zu schämen. Eine Putzfrau, wie es neuerdings wieder unprätentiös heißt, gehört in berufstätigen Familien- und Singlehaushalten mittlerweile genauso zum guten Ton wie einst der Spülautomat in abwaschzerrütteten Wohngemeinschaften.

Daß man einst vielleicht angetreten war, entfremdete Arbeit oder menschliche Ausbeutung auf den Scheiterhaufen der Geschichte zu verbannen, ist nunmehr eine Frage des Gewissens, entscheidend ist der eigene Vorteil: „Letzten Endes“, sagt Carolina L., „bleibt mehr Zeit für die Kinder. Sie sind zwar nach wie vor diejenigen, die das bescheuert finden, aber die Arbeit übernehmen sie auch nicht.“

Trifft ein Linker nach Jahren einen andern. Sagt der zur Begrüßung: „Hör mal, weißt du nicht 'ne Putzfrau?“ Die Szene aus dem Grips-Theaterstück „Eine linke Geschichte“ sagt vor allem eins: Putzfrauen sucht man nicht. Sie drängen sich einem auf! Nicht in der zitty oder dem tip, sondern im Bekanntenkreis. Wie bei Carolina L. Sie hat von der brasilianischen Putzfrau einer Sängerin, die eine Treppe tiefer putzt, den Tip bekommen, daß ihre Cousine auch gerne putzen würde.

Patti M., Germanistin im kinderbedingten Ruhestand, hat eine Putzfrau aus Polen. Den Vorwurf, jemanden auszubeuten, weist sie allerdings von sich, 15 Mark die Stunde sei schließlich ein angemessener Lohn. Patti M. wohnt mit ihrem Freund und zwei Kindern zusammen. Die Idee mit der Putzfrau kam von ihr: „Als ich noch gearbeitet hab', hab' ich mir gesagt, solange mein Freund nicht genausoviel im Haushalt macht wie ich, mach ich's auch nicht mehr.“ Das Ergebnis: Weniger der Freund hat sich geändert als der Wochenrhythmus im Hause M.: Eine Polin entfernt nun einmal in der Woche zwei Stunden lang den gröbsten Dreck. „Anfangs hab ich mich geschämt“, gesteht Patti M., „aber mittlerweile sag' ich mir, daß die Putzfrau davon ja auch lebt.“ Jeden Donnerstag, erzählt sie, komme sie mit dem Auto von ihrem Wohnort in Polen nach Berlin gefahren, erledige eine Wohnung nach der andern, schläft bei ihrer Cousine und fährt freitags wieder nach Polen zurück. „Damit ernährt sie ihre Familie.“ Und gibt dem Hause M., auch wenn sie erkauft werden muß, das Gefühl von Gleichberechtigung zurück. „Wir bezahlen beide dafür“, sagt Patti, „daß ich weniger machen muß. Insofern ist das auch ein Stück Emanzipation.“

Die alternativen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und sozialen Auffanggesellschaften haben sich mittlerweile auch bis zu den Bündnisgrünen herumgesprochen. Zwar nicht so, daß man dem selbstgefälligen Samaritertum der eigenen Klientel den Kampf ansagen würde. Im Gegenteil: „Auf Anhieb“, sagte eine Mitarbeiterin der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, die selbstredend auch ihren Namen nicht veröffentlicht haben will, „auf Anhieb wüßte sie niemanden, der keine Putzfrau hätte.“ Sie selbst habe ihre Putzfrau, eine Rentnerin aus der Nachbarschaft, kennengelernt, als sie sich mit einer Freundin – einer Professorin – darüber unterhalten habe, wie man alles noch unter einen Hut bekommen solle, Beruf und Haushalt. Da habe die Professorin geantwortet: Mit einer Putzfrau. Eben jener Rentnerin.

Dann kommt die namenlose Bündnisgrüne ins Plaudern. Eine Kollegin aus Brandenburg, nicht unbekannt, ließe sogar für sich den Einkauf erledigen, und jemand aus Berlin, langjähriger Mitarbeiter der Fraktion, der finde, wenn er in seine Einraumwohnung nach Hause komme, sogar seine Hemden gebügelt vor. Nicht daß er das verlangen würde, aber die Putzfrau, eine Südamerikanerin, so sage er jedenfalls immer wieder mit Nachdruck, ließe sich davon einfach nicht abbringen. Sie selbst habe sich, da man im Osten gewohnt war, alles selbst zu machen, am Anfang aber doch ein wenig komisch gefühlt.

Die Schamarbeit der alternativen Arbeitgeber hat auch einen gemeinsamen Nenner: Den Absentismus während des eigentlichen Putzvorgangs. „Dabeizusein“, sagt Carolina L, „würde ich schwer aushalten.“ Und wenn, dann müsse sie auch einen Putzlappen in die Hand nehmen. Anders dagegen argumentieren diejenigen, die sich nicht wie Patti oder Carolina einmal die Woche für zwei bis drei Stunden begnügen müssen, sondern sich täglich eine „linke Geschichte“ leisten können.

Eine Rechtsanwältin, Monatsgehalt 10.000 Mark, meint schlicht: „In der Zeit, in der die Putzfrau da ist, verdiene ich ein Vielfaches von dem, was sie kostet. Und warum soll ich die wenige Zeit, die ich habe, auch noch mit Putzen verbringen?“ Es scheint, als bewahrheite sich auch hier und einmal mehr der Marxsche Imperativ vom Sein und Bewußtsein: Eine Journalistin, sonst zu jeder Schandtat und jedem Tabubruch bereit, aber leider chronisch unterbezahlt, fordert nicht etwa mehr Geld, um sich eine Putzfrau leisten zu können, sondern ist „froh, daß ich so wenig verdiene, daß ich da nicht in Versuchung komme“.