Jedem sein eigenes Ärportle

Wenn die Alliierten gehen, kommen den Kommunalpolitikern in Baden-Württemberg die merkwürdigsten Ideen  ■ Von Heide Platen

Krüppelkiefern, Maulwurfshügel auf kahlem Gelände, die 405 Wohnungen in den schlichten Häusern stehen leer, auf der 3,3 Kilometer langen Betonpiste startet keine Militärmaschine mehr. Auch in den umliegenden Standortgemeinden Hügelsheim, Rheinmünster stehen die Häuser reihenweise leer. Über 2.000 kanadische Soldaten und ihre 3.200 Angehörigen sind aus dem Nato-Standort Söllingen abgezogen. Klein-Kanada, wie die Einheimischen sagen, gleicht einer Geisterstadt wie aus dem Western-Film.

Die zurückgebliebenen Deutschen finden sich unversehens in argen Schwierigkeiten. Sind ihnen doch unverhofft 670 Hektar Land zugewachsen. Bislang verwaltet der Bund sie, aber schon wachsen die Pläne für das Gelände in den Köpfen. Gigantomanie ist Trumpf. Da war von einem Technologiepark die Rede, von Wohnungen, Gewerbeansiedlung und einem Freizeitpark. Und, als größter Kostenfaktor, schwant einigen schon der Regionalflughafen „Baden- Airport“.

Flink gründete sich bereits eine Entwicklungsgesellschaft (EGS). Die Industrie- und Handelskammer befragte ihre Mitglieder zu dem Unternehmen. Rund 45 Firmen antworteten auf die Frage, ob sie denn einen solchen Flugplatz nutzen würden, mit einem kräftigen, aber unverbindlichen „Ja“. Die EGS rechnete flugs ein Passagieraufkommen von rund 120.000 im Jahr hoch. Das Geld für die Investitionen erhofft sich der Zusammenschluß von Kommunen, Landkreis und Privatwirtschaft vor allem von der Stuttgarter Landesregierung. Geld wollten allerdings auch andere verlassene Militärstandorte in Baden-Württemberg.

Söllingen ist – mit oder ohne den teuren und folgekostenträchtigen Flugplatz – ein Problem. Schon macht der Begriff von der „Milliardenbrache“ die Runde. Jedoch: Die Entsorgung der Flughafen- Altlasten ist ungeklärt und wird „vorsichtig“ auf 60 bis 70 Millionen Mark geschätzt. Die einfache Sanierung der heruntergekommenen Militärsiedlung soll 7 bis 8 Millionen Mark verschlingen.

Nachdem Rastatter und Bühler Wohnungsbaugesellschaften zurückgezogen hatten, bleibt nur noch die Karlsruher „Volkswohnung“ als Partnerin übrig. Der Kaufpreis für die 46 Gebäude in Bundesbesitz soll inzwischen von 73 auf unter 25 Millionen Mark heruntergehandelt worden sein.

Im Dezember 1993 beschlossen die GemeindevertreterInnen von Hügelsheim und Rheinmünster, daß der Flughafen gebaut werden soll. Daß sie dabei, auch mit Blick auf die Kommunalwahlen im Juni, den vorausgeahnten Bürgerunwillen berücksichtigten, brachte sie im nachhinein in Verlegenheit. Sie hatten ihr Votum mit derart vielen Auflagen gespickt, daß Verkehrsminister Hermann Schaufler (CDU) feststellte, das ganze Projekt sei schon im Vorfeld eine Bruchlandung. Das Beschlußpaket enthielt ein Flugverbot an Sonn- und Feiertagen, Ausschluß von Kleinflugzeugen unter 2.000 Kilogramm, von Flugschulen und Sportfliegern, ein Planfeststellungs- statt des einfachen luftrechtlichen Genehmigungsverfahrens, Nichthaftung der Gemeinden bei Verlusten und ein Vetorecht bei Verträgen der Betreiber mit Fluggesellschaften. In nichtöffentlichen Nachverhandlungen lockerten die Hügelsheimer Gemeinderäte die Auflagen wieder, hoben die Gewichtsgrenze und das Nacht- und Wochenendflugverbot auf und wollen sich – nach zehn Jahren Laufzeit – auch an den Defiziten beteiligen. Die Gemeinde Rheinmünster hielt bisher an den Auflagen fest. Bürgermeister Klaus Droll maulte in Richtung EGS und Landtag, „nichts gehe“, wenn die Finanzierung nicht gesichert sei. Hügelsheim und Rheinmünster allein, dämmerte ihm, könnten das Projekt wohl kaum finanzieren: „Wir hängen echt quer in der Luft.“ Eigentlich, resümierten die Kommunalpolitiker, habe man ja nur den Technologiepark als Arbeitsplatzbeschaffer gewollt. Der Flughafen sei eben die unvermeidliche Dreingabe.

Die CDU fand ihre Kritiker in Sachen „Jahrhundertprojekt“ Flughafen inzwischen auch in den eigenen Reihen. Einige Gemeinden fühlten sich von Personalentscheidungen der EGS düpiert und kündigten an, in Zukunft „wachsamer“ zu sein. Das Mißtrauen richtet sich gegen die Städte Karlsruhe und Baden-Baden. Beide Städte haben bereits Flughäfen, beide sind verschuldet und knapp an Grundstücken für Wohnungen und Gewerbegebiete.

Baden-Baden, die Stadt der Millionäre, vermerkt ein Kommentator mit Häme, verzichtete sogar auf den Neujahrsempfang. Deswegen käme es Baden-Baden und Karlsruhe zupaß, wenn sie ihre Flughäfen schließen und freiwerdende Flächen mit Gewinn anderweitig nutzen könnten. „Die wollen sich“, vermuten eingefleischte KritikerInnen zwischen Bühl und Bruchsal, „auf Kosten der Region gesundstoßen.“

Bis zur Revision der Hügelsheimer Beschlüsse hatte sich kein nennenswerter Widerstand gegen den Flughafen geregt. „Die Leute hier“, weiß ein Anwohner, „sind sehr belastbar. Die waren bereits an Starfighter gewöhnt.“ Und: „Die wollen nur, daß das nicht wieder so schlimm wird.“ Das hatten ihnen die vormaligen Beschlüsse auch garantieren sollen. Seitdem klar ist, daß diese zurückgenommen wurden, ist die Hügelsheimer Bürgerinitiative wieder aktiv. Sie kandidiert mit einer eigenen Liste für die Kommunalwahlen. Außerdem sammelt sie Unterschriften und will für ein schon im vorigen Jahr verlangtes Bürgerbegehren klagen. Dies sei, so beschied das Landratsamt damals, in der baden- württembergischen Gemeindeordnung leider nicht vorgesehen und daher unzulässig. Doch Juristen widersprachen dieser Entscheidung.

Widerstand von offizieller Seite leistet der Rastatter Oberbürgermeister Klaus-Eckhard Walker (SPD). Er rechnet den Flughafenbefürwortern vor, daß sich ihr Airport nicht rechnet. Es fehle sowohl eine „ernsthafte Bedarfsanalyse“ als auch „ein tragfähiges Finanzierungskonzept“. Selbst die IHK- Vertreter beschieden der EGS ebenso wie die Handwerkskammer, daß die freie Wirtschaft nur dann einsteige, wenn sich das Projekt als „rentierlich“ erweise. Damit aber rechnen auch Optimisten inzwischen nicht mehr. Auch Mercedes-Benz hatte, nachdem erst vor kurzem bekanntgegeben wurde, der Mini-Mercedes „Vision A“ solle in Rastatt gebaut werden, wissen lassen, daß es dazu nicht unbedingt eines Flughafens bedürfe. Diese Logik ist bestechend.

Der Flughafen von Straßburg ist nahe, Friedrichshafen und Stuttgart werden ausgebaut, Basel, München und Frankfurt sind schnell erreichbar. Zwar signalisierten die Franzosen in Gesprächen willig, daß sie Söllingen keine Konkurrenz machen wollen. Davon unbeschadet bauen sie emsig an der Erweiterung des Zivilflughafens in Straßburg-Entzheim, fliegen ab Herbst 1994 deutsche Städte an und planen ein neues Projekt in Lothringen. Oberbürgermeister Walker hält Söllingen deshalb schon vor Inbetriebnahme für „konkursreif“. Er favorisiert eine ganz andere Lösung.

Der Karlsruher Architekturprofessor Martin Einsele hat ein Modell für das Gelände entworfen. Eine „durchgrünte und durchlüftete“ Siedlung für rund vierzigtausend Menschen, in der bis zu achttausend neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Auch Walker muß sich Spott gefallen lassen: „Brasilia in Mittelbaden“. Er möchte die wie auch immer ausfallende Entscheidung jedenfalls nicht den profitierenden Städten und den Standortgemeinden überlassen, sondern fordert ein Regionalparlament. Währenddessen ist sich auch die EGS uneinig. Sie hat sich in ihrer Sitzung im Februar nicht darüber verständigen können, wie der Flugplatz denn nun eigentlich genutzt werden soll. Zur geplanten Gründung der Betreibergesellschaft „Airport GmbH“ kam es erst gar nicht.

Die Baden-Badener Landtagsabgeordnete Ursula Lazarus (CDU) gab bekannt, sie habe bei Ministerpräsident Ernst Teufel und Verkehrsminister Hermann Schaufler vorgesprochen und mache sich Hoffnungen, das Stuttgarter Kabinett werde den Baden- Airport befürworten. Schaufler favorisiert dezentrale Verkehrsflughäfen, wie in Söllingen geplant. Er rechnet mit steigendem Luftfahrtverkehr und stellt sich ein Gesamtkonzept mit dem erweiterten Landesflughafen in Stuttgart für Amerika- und Asienflüge und zwei Regionalflughäfen in Söllingen und Friedrichshafen vor.

Wenn zum Beispiel in Stuttgart Nebel herrsche, ging er ins Detail, könne durchaus in Söllingen Schönwetter sein und dort gelandet werden. Diese Zukunftsinvestitionen könnten durch internationale Kredite finanziert, durch die „Bonität“ des Landes gedeckt und später aus den Einnahmen bezahlt werden. Die Stuttgarter Flughafen-Manager haben, nach anfänglichem Interesse, inzwischen abgewinkt. Sie fürchten die südbadische Konkurrenz. Währenddessen beharrt Schaufler darauf, daß Söllingen als Ersatz für Charterflugzeuge dienen kann, wenn die Stuttgarter Landebahn im Sommer 1995 umgebaut wird. Ein Probelauf soll die europäische Außenministerkonferenz im September in Karlsruhe sein. Die fehlende Logistik müßte dann allerdings noch die Bundeswehr übernehmen.

Der CDU-Abgeordneten Lazarus geriet eine Diskussionsveranstaltung in Bühl im Februar zu einer verkehrspolitischen Zukunftsorgie. Den Flughafen Söllingen sah sie als Vehikel: „Dann sind vieleicht Sachen möglich, die sonst in Jahren noch nicht verwirklicht wären.“ Dazu gehören der Bau neuer Zubringerstraßen ohne langwierige Raumordnungsverfahren und ein Autobahnanschluß an die sechsspurige A5, deren Ausbau im Jahr 2000 beendet sein soll.

Die südlicheren Gemeinden Lahr und Bremgarten, die ebenfalls Militärflughäfen zivil umnutzen wollen, haben bei Verkehrsminister Schaufler schlechte Karten. Die allerdings wurden von Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) favorisiert. Ministerpräsident Erwin Teufel äußerte sich verärgert über die Begehrlichkeiten der badischen Region in Richtung Landeskasse. In einer turbulenten CDU-Fraktionssitzung soll er gesagt haben, wenn das so weitergehe, könne er auch „die Schwabenfrage“ stellen. Im übrigen setze er auf Europa, also ein Konzept, das den Elsaß mit einbeziehe.

Das Stuttgarter Kabinett einigte sich auf den Kompromiß eines tröpfelnden Geldhahnes, der alle Interessenten gleich unzufrieden zurückläßt. Insgesamt 35 Millionen Mark bekommt Söllingen für Flughafen und Gewerbepark, damit andere Gemeinden auch nicht leer ausgehen. Das, so EGS-Geschäftsführer Schmidt, reiche weder für die Sanierung des Geländes mit lecken unterirdischen Tanks, Treibstoff im Grundwasser, maroden Wasser- und Abwasserleitungen und vierzehn altlastverdächtigen Flächen. Er sei, ließ er wissen, „deprimiert“. Auch Oberbürgermeister Seiler maulte aus Karlsruhe, er sei geneigt, „alles hinzuschmeißen“.

Naturschutzverbände, regionale CDU- und SPD-PolitikerInnen, Grüne und Gewerkschafter demonstrieren unterdessen weiter gegen das „Ärportle“. Sollten alle Höhenflüge scheitern, hat die Söllinger Feuerwehr mit ihrem Motivwagen zum vergangenen Karneval vorsorglich eine bodenständige Alternative gegen den „großen Bluff“ der Politiker: „Wir wollen einen Vergnügungspark mit Erotikbar“.