Spiele statt Brot für Äthiopien

Die ersten Wahlen des Landes könnten die letzten sein  ■ Aus Harar Bettina Rühl

Die Musik aus den Lautsprecherboxen übertönt fast jedes Wort. Erst hier wagt Teklu offene Kritik: „Wahlen?“ lacht er bitter. „Ein Spektakel für die Geldgeber aus dem Ausland.“ Acht Jahre lang hat der 36jährige Äthiopier aus der Volksgruppe der Somali unter Mengistu Haile Mariam wegen „Hochverrats“ unschuldig im Gefängnis gesessen. Als der Diktator im Mai 1991 vor den Guerilleros der Tigre-Volksbefreiungsfront (TPLF) aus der Hauptstadt Addis Abeba floh, hoffte Teklu auf Wandel. „Doch geändert hat sich fast nichts“, meint er. Dabei stehen die ersten nationalen Wahlen in der Geschichte Äthiopiens bevor: Morgen sollen 22,5 Millionen wahlberechtigte Äthiopier eine Verfassunggebende Versammlung wählen. Damit löst die Übergangsregierung der TPLF-dominierten „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) unter Präsident Meles Zenawi ein Versprechen aus den Tagen der Machtübernahme vor drei Jahren ein.

Doch von Aufbruchsstimmung ist fast nichts zu spüren. Wahlkampf findet nicht statt, Plakate sind nur vereinzelt zu sehen. Nach offiziellen Angaben haben sich 66 Prozent der Wahlberechtigten einen Wahlausweis geholt – doch man trifft kaum einen, der die weiße Karte hat. „Wer nach Brot verlangt, dem kann man meinen Wahlschein geben“, erklärt Kassahum Hassan Ali von der Nationalen Wahlkampfkommission. Noch immer zählt Äthiopien zu den ärmsten Ländern der Erde. Geschäftszeilen, Nachtclubs und Straßencafés sind zwar in der Hauptstadt wie Pilze aus dem Boden geschossen, doch nur eine kleine Elite hat dafür das Geld. Die Preise für Brot und Hirse haben sich seit 1991 mehr als verdoppelt, die Löhne blieben gleich. Kriegsversehrte, Kinder und Witwen betteln in Addis um ihr Überleben. Sie suchen Zuflucht unter Müllhaufen oder schlafen und sterben da, wo sie gerade zusammengebrochen sind. 6,7 Millionen Menschen in Äthiopien sind nach Angaben der staatlichen „Hilfs- und Wiedereingliederungskommission“ vom Hunger bedroht, durch den Krieg entwurzelt oder im Land auf der Flucht.

Vor diesem Hintergrund empfinden viele die Wahl als überflüssige Geldverschwendung, zumal die regierende EPRDF als Gewinnerin feststeht. In 60 „Zonen“ stellen sich 1.476 Kandidaten zum Votum. Die Mehrheit davon gehört zu keiner Partei, steht aber, wie ein Verwaltungsmitglied erklärt, zur Linie der Regierung. Die 38 kandidierenden Parteien sind als Satelliten der EPRDF bekannt. Von den 150 meist ethnisch geprägten Oppositionsgruppen Äthiopiens bewirbt sich keine einzige für einen der 547 Sitze in der Verfassunggebenden Versammlung.

Oppositionelle Parteien sind zum Teil aus formalistischen Gründen abgelehnt worden und boykottieren daher die Wahl. „Sie wurden von der Verwaltung in den Regionen behindert, ihre Büros wurden geschlossen“, erklärt Beyene Petros, Vorsitzender der „Demokratischen Union der südäthiopischen Völker“. Die Mitglieder des Bündnisses von 44 Parteien und Verbänden aus dem Süden des Landes würden schikaniert, von Lebensmittelzuteilungen ausgeschlossen und hätten in Einzelfällen sogar ihre Felder an die Regierung zurückgeben müssen. Nach Angaben des äthiopischen Menschenrechtsrates EHRCO sind seit Sommer 1992 über 7.000 Menschen ohne Anklage verhaftet worden, mehr als 100 unter ungeklärten Umständen „verschwunden“ und mindestens 600 bei „ethnischen Konflikten“ umgekommen.

Regierungssprecherin Netsanet Asfan weist die Vorwürfe als „glatte Lüge“ zurück. Daß die Wahl eine Einparteienveranstaltung sei, hält sie für eine Erblast der 17jährigen Mengistu-Diktatur: „Wir haben keine lokale Opposition und keine Erfahrung mit der Demokratie.“

„Es gibt keinen Frieden im Land“, meint Teklu im Lärm der Gartenbar. Hier im Ogaden, dem Grenzgebiet zu Somalia, wurde „über die Wahl nicht einmal diskutiert“, sagt er. Nur eine Stadt nimmt an der Veranstaltung überhaupt teil. Ansonsten wird in Ogaden gekämpft: Die Nationale Ogaden-Befreiungsfront (ONLF) verlangt die Unabhängigkeit dieses riesigen Gebietes.

In den Wochen vor der Wahl kamen auf der Straße zwischen Dire Dawa und der Regionalhauptstadt Jijiga mindestens 18 Menschen um, darunter acht Regierungssoldaten. Als verantwortlich gilt die ONLF, die gegen die EPRDF-Satellitenregierung der Ogaden-Region kämpft. Zwar soll in der neuen Verfassung ein Recht auf Sezession garantiert werden, doch „das Versprechen ist das Papier nicht wert, auf dem es steht“, meint das Mitglied einer überparteilichen Friedensorganisation. An der Seite der ONLF kämpft die islamistische Gruppe „Dschihad“.

Zerschossene Panzer aus dem letzten Krieg liegen an der Straße zwischen Dire Dawa und Harar. Kurz vor der Wahl sind Militärs in Harar allgegenwärtig. Vor zwei Wochen wurde eine Touristengruppe im Stadtzentrum mit einer Handgranate angegriffen, der äthiopische Begleiter starb. In den letzten zwei Wochen kamen in der Region nach offiziellen Angaben 37 Menschen ums Leben, darunter auch Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“. Deren Vorsitzender Karl-Heinz Böhm vermutet Islamisten hinter den Anschlägen. Harar ist ein „Stadtstaat“ innerhalb der Oromo-Region, die in den letzten Jahren oft Kampfschauplatz der Regierungsarmee mit Oromo- Gruppen war. Die Oromo stellen über 50 Prozent der 54 Millionen Äthiopier, sind aber politisch zersplittert. Beobachter vermuten, daß ihre Hauptgruppierung, die Oromo-Befreiungsfront (OLF), gezielt Jagd auf Ausländer macht, um auf den Unfrieden im Land aufmerksam zu machen.

Längst ist die einst international als fortschrittlich gepriesene Regionalisierungspolitik der EPRDF nicht mehr unumstritten. Ob Führerschein oder Wahlausweis – überall wird heute nach der Volksgruppe gefragt. „Die Regierung spielt mit dem Feuer“, warnt ein Mitglied einer deutschen Hilfsorganisation. „Es gibt keine Äthiopier mehr, sondern 80 verschiedene Völker.“ Durch die „Teile- und-herrsche“-Politik der Regierung nähmen auch die Konflikte innerhalb der Ethnien zu.

„Eine solche Politik ist schlimmer als Aids“, sagt Teklu besorgt. Er wurde an der Grenze zu Somalia geboren; seine Vorfahren kommen aus vier Volksgruppen. Der Ogaden ist nicht nur ein Vielvölkergemisch; auch fast alle somalischen Clans sind hier vertreten. Teklu will die Anfänge einer Somalia-ähnlichen Zersplitterung bereits beobachtet haben. Verantwortlich sei die Regierung: „Der Schlüssel sind die Menschenrechte. Wenn sich der einzelne unterdrückt fühlt, sucht er den Kampf an der Seite seines Clans.“