Der Volkszorn blieb aus

Verkehrsbeschränkungen in Heilbronn sollen zeigen, daß eine „Sommersmog“-Verordnung sinnvoll ist / Kein Verkehrschaos  ■ Aus Heilbronn und Neckarsulm Heide Platen

Auf den Gleisen des Bahnhofs von Neckarsulm stauen sich die Güterzüge. Sie sind mit funkelnagelneuen Audis beladen. Gleich dahinter türmt der Kühlturm des Kraftwerkes weiße Dampfwolken in den Morgenhimmel. Damit haben die Angereisten zwei der Industriebetriebe gleich im Blick, die, zusammen mit anderen, für die nächsten vier Tage umweltfreundliche Zurückhaltung in der Produktion gelobt haben. Vor den Toren des Automobilherstellers stehen jedenfalls mehr Fahrräder als sonst. Auf der Autobahnbrücke aber rollen die LKWs wie gehabt. Das Kaufhaus an der Marktstraße bietet „Ozon-Preise“ an, der Metzger verläßt sich lieber auf die Popularität der WM-Würstchen.

Gegen elf Uhr eilt der baden- württembergische Umweltminister Harald B. Schäfer (SPD) ins Rathaus. Er zieht eine erste positive Bilanz. Knapp 40 Prozent der 285.000 die Region Unterland um Heilbronn und Neckarsulm frequentierenden Kraftfahrzeuge, davon 65.000 im Sperrgebiet zugelassen, seien mit entsprechendem Dreiwegekatalysator oder Dieselmotor ausgerüstet.

Die durften gestern, zu Beginn des viertägigen weltweit ersten „Ozon-Versuchs“, ebenso wie Lastwagen mit Euro-Norm, auf die Straßen in der rund 40 Quadratkilometer großen Sperrzone. Alle anderen mußten draußen bleiben. Das Verkehrsaufkommen sei dadurch um 20 bis 30 Prozent gesunken. Die augenfällige Differenz liege aber keinesfalls an zu üppiger Vergabe von Ausnahmegenehmigungen, denn die werden auf höchstens drei Prozent geschätzt. Sie erkläre sich vielmehr daraus, daß viele Leute, ob ohne oder mit Kat, gestern freiwillig nicht Auto gefahren seien.

Siebenmal hatte der eigentlich schon für 1993 angesetzte Versuch wegen bedeckter Wetterlage verschoben werden müssen. Dem Minister, der so beweisen möchte, daß eine „Sommersmog-Verordnung“ sinnvoll sei, hat das mehr Spott als Lob eingetragen. Er aber habe, verkündete er gestern in die zaghaften Sonnenstrahlen am wolkigen Himmel, trotzdem „die Nerven behalten“.

Der Gegenwind blies Schäfer nicht nur aus unberechenbaren Tiefs an, sondern vor allem aus Heilbronn, wo Einzelhandel, Industrie und CDU gegen seinen Versuch Sturm liefen. Neckarsulm nutzte die Gunst der Stunde und mauserte sich rasch zum Zentrum der Bewegung der Befürworter. Das Ministerium verlegte sein Koordinationsbüro von Heilbronn in das Rathaus der kleinen Nachbarstadt. Oberbürgermeister Volker Blust strahlte gestern wie der leibhaftige Umweltengel.

Popularität für Neckarsulm

Noch ein abgesagter Versuch, hatte er befürchtet, werde „die Akzeptanz der Bevölkerung“ rapide sinken lassen. Er verspricht sich von dem Versuch Popularität für Neckarsulm, das örtliche Fahrradmuseum und den heimischen Weinbau. Die Vereine ziehen mit. Sie veranstalten Feste, Konzerte, heute abend eine Riesenfete. Die Einwohner können im Elektroauto fahren oder auf den Drahtesel steigen. Dagegen sei in Heilbronn, meldete die Lokalpresse, „tote Hose“.

Laxe Kontrollen

Währenddessen hatten Polizei und Bahnpolizei aus dem Versuchsfeld kaum etwas Nennenswertes zu melden. Sechs Anzeigen habe es bei den Kontrollen gegeben, außerdem 43 Verwarnungen à 20 Mark wegen fehlender Plakette. 93 ignorante AutofahrerInnen mit einheimischem Kennzeichen mußten mit ihren Abgasschleudern an der Grenze des Sperrgebiets wenden. Ärger und Volkszorn seien, meint auch der zuständige Beamte, dabei nicht zu verzeichen gewesen. Daß nur 15 der 20 Kontrollstellen, und das auch nur zeitweilig, besetzt waren, hält er für ausreichend. Er gehe davon aus, daß die Leute von sich aus „die Schilder beachten“. Die seien nicht anders als bei Smog-Alarm sonst auch.

Daß die Anwohner das, zumindest im Stadtgebiet von Heilbronn, nicht alle taten, beweist der Augenschein. In der widerborstigen Stadt seien die Kontrollen, sagen Versuchs-Befürworter, viel zu lax. Außerdem seien die weißgelben Ausnahmeplaketten inflationär vergeben worden. Die erste sichtbare Kontrolle ereilt im Auto Angereiste dann tatsächlich erst am Ortsrand von Neckarsulm. Die Züge in um und Heilbronn sind auch nicht, wie erwartet, überfüllt. Dabei hätten an diesem Tag auch Erwachsene zum Kinderfahrpreis reisen können — allerdings nur von Bietigheim-Bissingen bis nach Neckarsulm.

An den Haltestellen winken die Fahrer der für Sonderfahrten eingesetzten Busse ab. Sie gähnen, langweilen sich trotz kostenloser Freifahrtangebote und schätzen die Fahrgastzahl auf müde „etwa zehn Prozent höher als sonst“. Einige alte Damen aber sind begeistert. Sie wohnen im Ortsteil Amorbach und haben sonst unter der unzulänglichen Nahverkehrsversorgung zu leiden. „Das ist hier ganz besch...“, sagt eine und kichert verlegen.

Auch die Tatsache, daß die Marktstraße heute mit viel weniger Verkehr belastet ist, finden sie prima: „Da muß man nicht so rennen.“ Die nächste Fußgängerampel ist ihnen zu weit weg. Sie sind für die Verkehrsberuhigung der Haupt-, Durchgangs- und Einkaufsstraße. Dem Einzelhandel hätten sie allerdings auch den „langen Mittwoch“ gegönnt, den sich die Heilbronner für vorgestern erstritten hatten. Das hat hier der Betriebsrat eines Kaufhauses verhindert.

Ulrike Zenke von der örtlichen IG Metall wohnt dicht an der Autobahn. Ihr ist sofort aufgefallen, daß vor allem der Lärm, „weniger der Gestank“ stark abgenommen hat. Sie setzt sich für den Versuch ein. Die baden-württembergische IG Metall entwarf in den letzten zwei Jahren ein Strukturprogramm, nachdem sie einen raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit von drei auf über acht Prozent registriert hatte: „Alles ist hier bei uns vom Automobil abhängig.“ Deshalb müsse in die Zukunft, in umweltfreundliche Industrie investiert werden.

Währenddessen erläutert der Experte vom Umweltamt an Schautafeln und vor fast leeren Stühlen den wissenschaftlichen Teil des Versuchs. Die Ozon- Kurve soll gegen Ende der vier Tage erst ansteigen und dann „nach unten klappen“. Aber selbst wenn das von ihm sehr gewünschte Ergebnis, das erst in sechs Monaten vorliegen wird, nicht eintritt, ist Minister Schäfer optimistisch: „Der Versuch endet immer positiv. Wir haben dann endlich Klarheit und profilierte Meßergebnisse.“