■ Mit Ukrainiens Krise auf du und du
: Keine Kohle

Berlin (taz/dpa) – Die Ukrainer zittern bereits jetzt vor dem Winter. Es mangelt an Kohle und Uran; Strom- und Heizungsabschaltungen werden darum auch bei Dauerfrost an der Tagesordnung sein. Wie die Parlamentszeitung Stimme der Urkaine berichtet, haben die Heizkraftwerke nur 5,8 Millionen statt 7,5 Millionen Tonnen Kohle Vorrat. Das AKW Saporoschje kündigte seinen Industriekunden bereits Stromabschaltungen aus Mangel an neuen Brennstäben für die fünf Reaktoren an. Weil die Stromkunden nicht bezahlten, müsse das AKW möglicherweise abgeschaltet werden.

Während in den Nachbarländern jede ukrainische AKW- Abschaltung vermutlich mit Erleichterung aufgenommen werden würde, klagt Energieminister Wilen Semenjuk über Kohlemangel. Schon im Sommer mußten die Kraftwerke mehr Strom als geplant liefern, weil die Wasserkraftwerke wegen der Trockenheit nicht genug produzierten. Zusätzliche Kohle kann der Energieminister nicht kaufen, weil die Außenstände seines Sektors bereits 9,4 Billionen Karbowanzen (300 Millionen Mark) betragen. Rußland, das zu UdSSR-Zeiten Hauptlieferant der ukrainischen Sowjetrepublik für Energierohstoffe war, verkauft diese heute nur noch zu Weltmarktpreisen. Nur wenn ein Regierungskredit über drei Billionen Karbowanzen in den kommenden zwei Wochen ausgezahlt werde, sagt Semenjuk, könnten sich die Heizkraftwerke noch mit Kohle eindecken.

Immer neue Regierungskredite für die noch staatliche Wirtschaft – erst kürzlich gab es größere Beträge für die Landwirtschaft – kann die Regierung von Präsident Leonid Kutschma aus ihren leeren Kassen nur auszahlen, indem sie die Druckerpresse anwirft. Das beschleunigt die Inflation. Diese Woche verkauften Kiewer Banken einen US-Dollar für 55.000 Karbowanzen, deren Kurs vor zwei Wochen noch bei 46.000 lag. Der staatliche Kurs, zu dem Firmen die Hälfte ihrer Deviseneinnahmen zwangsumtauschen müssen, lag bei 20.500 Karbowanzen.

Als erste echte Wirtschaftsreform will Kutschma den staatlichen Kurs stufenweise an den Marktkurs heranführen, der sich ab 1. Oktober an der Kiewer Devisenbörse bilden darf. Darüber hinaus weiß auch drei Monate nach Amtsantritt Kutschmas, der sich für einen zentral gesteuerten Übergang zu einer sozialen Marktwirtschaft ausgesprochen hat, niemand, wann und wie mit Reformen begonnen werden soll. Die frierenden Ukrainer haben so die Rezession des Systemübergangs, die Polen hinter sich hat und in der Rußland mittendrin steckt, noch komplett vor sich. Donata Riedel