Kemptener Sterbehilfe-Urteil wankt

Ein Arzt und ein Angehöriger wurden verurteilt, weil sie bei einer Todkranken die künstliche Ernährung unterbinden wollten / Die Bundesanwaltschaft plädiert jetzt auf Freispruch  ■ Von Klaus Wittmann

Kempten (taz) – Im März hatte das Landgericht Kempten einen 53jährigen Arzt und einen gleichaltrigen Geschäftsmann zu Geldstrafen in Höhe von 6.400 und 4.800 Mark verurteilt. Das Gericht befand die beiden Männer des versuchten Totschlags im minder schweren Fall für schuldig. Daß es überhaupt zur Verurteilung gekommen war, hatte bundesweit Empörung hervorgerufen.

Die beiden Männer hatten eine Anweisung der Mutter des Geschäftsmannes im Pflegeheim unterschrieben, wonach die künstliche Ernährung bei der unheilbar kranken 73jährigen eingestellt werden sollte. Seit die Frau 1990 einen Herzstillstand erlitten hatte, lag sie im Koma.

Das Pflegepersonal weigerte sich, der Anweisung Folge zu leisten, und wandte sich an das Vormundschaftsgericht. Die Landgerichtsärztin bestätigte dann zwar, daß die Frau unheilbar krank sei, ordnete aber aus moralischen und ethischen Gründen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung an. Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Anklage gegen die Männer, die dann auch verurteilt wurden.

Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe bahnt sich jetzt jedoch eine Wende an. In der Revisionsverhandlung plädierte der Bundesanwalt auf Freispruch für den Sohn. Im Fall des Arztes sprach sich der Bundesanwalt für eine Neuverhandlung in Kempten aus. Die Bundesanwaltschaft billigte den beiden Angeklagten einen sogenannten „möglichen Verbotsirrtum“ zu, vor allem dem Sohn der inzwischen Verstorbenen. Ob auch für den Hausarzt ein solcher straffreier Raum bestehe, solle die Neuverhandlung zeigen.

Fast drei Jahre lang hatte sich der angeklagte Sohn aufopfernd um seine kranke Mutter gekümmert, sie, sooft es nur ging, besucht. In der Verhandlung vor den Kemptener Richtern erklärte er, er habe einfach das Leiden seiner Mutter nicht mehr mit ansehen können. Immer wieder seien die Sonden für die künstliche Ernährung verrutscht, mußten sie operativ neu plaziert werden. Seine Mutter habe immer wieder betont, als sie noch gesund war, sie möchte niemals an Maschinen hängend dahinsiechen. Daher habe er, als das Leiden unerträglich wurde, den Hausarzt um Unterstützung gebeten. Ein Unrechtsbewußtsein, beteuerten beide Angeklagte, hätten sie in dieser Sache wahrlich nicht.

Hermann Schmidbauer, der Kemptener Anwalt des angeklagten Geschäftsmannes, reagierte erleichtert auf die Karlsruher Verhandlung. „Es geht uns darum, daß die Hilfe zu humanem Sterben nicht kriminalisiert wird“, erklärte er. Am Dienstag soll das Urteil des BGH verkündet werden.