Sanssouci
: Nachschlag

■ „Lange Nacht der deutschen Einheit“ in der Kunsthalle

Zu einer langen Nacht der deutschen Einheit hatte man in die „Kunsthalle am Zoo“ geladen. Die Ausstellung „Berliner Übergänge“ mit diversen Ost- und Westkünstlerinnen wurde eröffnet, ein Video (am Anfang blaue, am Ende rote Wolken) gezeigt, Ost-West-Katalogtext wurde verlesen, und auf einem hochkarätig besetzten Podium sollte über Ost und West und Kunst gesprochen werden. Die Kunsthalle war proppenvoll, die sekttrinkenden BesucherInnen hatten sich feingemacht. Am Nebentisch fragte eine Frau: „Kann ich euch eine Zigarette abkaufen“, und Peter Müller, Berlins eifrigster und stets plastiktaschenbewehrter Kunstfreund, zeigte sich mit seiner neuen Freundin. Alles wäre wunderschön gewesen, wenn es nicht ein kleines Skandälchen im Vorfeld gegeben hätte. Der Ostsatiriker Matthias Wedel nämlich sei in letzten Minute ausgeladen worden, so hieß es, nachdem er im Spiegel als „IM“ geoutet worden war. Damit hätte sie nichts zu tun, sagte die Veranstalterin Ost, Josephin Jahnke, und ich solle mich an die Veranstalterin West, Claudia Henne, wenden. Sichtlich genervt meinte diese, daß sie Matthias Wedel nach Erscheinen des Spiegel-Textes angerufen hätte, weil sie keine Lust auf eine Podiumsdiskussion gehabt habe, in der sich alles auf die Stasi-Frage konzentrieren würde. Wedel hätte dann von sich aus abgesagt. Wenn er gewollt hätte, hätte er ruhig kommen können. Nun gut, oder eher schlecht – mit Wedel verzichtete man jedenfalls auf eine Diskussion, die symptomatisch für das Ost-West-Verhältnis ist. Denn Wedels Spiegel-Vernichtung folgte den bekannten und infamen Mustern: Vor ein paar Monaten noch hatte Spiegel-Broder das „Einheitsfrust“-Buch des Satirikers seitenlang und so peinlich-emphatisch gelobt, daß man das Gefühl hatte, er habe das Buch gar nicht gelesen, und nun konnte er nur noch Bescheuertes darin entdecken. Aus dem klugen Ausnahmesatiriker war plötzlich einer jener „Wiedervereinigungsgewinnler“ geworden, aus dem Ehrenmann das Stasi-Schwein. Daß Wedels Stasi-Verstrickungen in Teilen zumindest seit längerer Zeit bekannt sind, sei nur nebenbei erwähnt.

Viele waren sehr enttäuscht, daß Wedel nicht da war. „Deshalb bin ich doch gekommen“, meinte Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien, gerade das würde doch zur Einheitsdebatte gehören. Andere meinten erbost, daß es doch viel besser gewesen wäre, Christoph Stölzl auszuladen. Zumal der sicher viel mehr Karrierebrüche auf seinem Gewissen habe als Wedel. Never mind. Die ausgestellte Ost-West-Kunst, die Ost-West-Lesungen von Sabine Vogel (die lieber „Fickgeschichten“ vorgelesen hätte), Wiebke Johannsen und Iris Hanika und die Ost-West-Podiumsdiskussion mit dem letzten DDR-KuMi Schirmer, Nele Hertling vom Hebbel Theater, Gabriele Muschter von der KulturBrauerei, Claudia Henne und Stölzl wurden jedenfalls von der Debatte um den Abwesenden überschattet. Eigentlich schade, denn die Kunst gefiel, die Autorinnen konnten sich mit ihren nachdenklichen Texten gegen das Stimmengewirr durchsetzen, die Diskutanten vermochten gegen die permanente Fröhlichkeit einer Blasmusikkapelle zu bestehen, und es fielen auch ein paar schöne Sätze. Schirmer sagte z.B., daß er „das ganze Geschwafel um Identität“ inzwischen nicht mehr hören könne. Detlef Kuhlbrodt