Menschen mit rosig goldener Glasur

■ Wie kann man sich durch den Umbruch hindurch seiner Biographie versichern? In Brigitte Burmeisters ironischem Ost-West-Roman erfindet die Heldin sich eine

Fast fünf Jahre sind seit der Maueröffnung vergangen, vor vier Jahren wurde das Gebiet der ehemaligen DDR an die BRD angegliedert. Während die Zeit der hastig verfaßten Ost-West- Grundsatzartikel zu Ende zu gehen scheint, häufen sich die Romane, die sich mal heiter, mal todernst mit den ideologischen, politischen oder alltäglichen Folgen der Vereinigung auseinandersetzen. Ob der allseits geforderte große Wenderoman dabei herausspringt, wird sich zeigen.

Brigitte Burmeisters Roman „Unter dem Namen Norma“ ist es wahrscheinlich nicht. Er zeichnet sich allerdings durch etwas aus, was, wenn es um Deutsch-Deutsches geht, selten geworden ist: Bescheidenheit.

Zwar geht es der 54jährigen Schriftstellerin, die zuletzt zusammen mit Margarete Mitscherlich „Wir haben ein Berührungstabu“ veröffentlichte, auch um die notorischen Ost-West-Themen – Stasi, arrogante, selbstsichere Wessis, unsichere Ostler et cetera –, doch werden sie als Teil eines Alltags behandelt, dem anderes nicht weniger wichtig ist. Vor allem enthält sich die Autorin der grassierenden Bescheidwisserei. Sie erzählt statt dessen.

Sommer 92. Die Heldin, eine Frau um die vierzig, wohnt zusammen mit ihrer pubertären Tochter in einem alten Mietshaus im Ostberliner Stadtbezirk Mitte. Sie übersetzt ein Buch über den französischen Revolutionär Saint-Just. Ihr Ehemann ist der Karriere wegen nach Westdeutschland gezogen. In Telefongesprächen entfernt sich das Paar immer weiter voneinander. Sie hat keinen Sinn für seine krampfhaften Versuche, zum Westler zu werden; er versteht nicht, was sie in ihrer Hinterhofwohnung hält. Ab und an kommt Max, ihr Westberliner Freund, in Jesuslatschen vorbei. Sex verbindet zur beidseitigen Zufriedenheit; auch danach ist man einander noch freundlich gesinnt. Nur den fiesen Nachbarn stört „ständig dieses Gevögel, und das in ihrem Alter“.

Mit viel Sinn fürs Detail erzählt Brigitte Burmeister aus dem Hinterhofleben; von Wohnungen, vielfältigen Geräuschen, der Bedeutung des Lichts für den geistig Arbeitenden, mehr oder weniger sympathischen Mietern. Eine Nachbarin bringt sich um, ihr Haushalt wird aufgelöst; wie soll man das der schwerhörigen alten Nachbarin erklären? Die Übersetzerin liest in Briefen aus Amerika, die die Schwester einer Nachbarin den Zurückgebliebenen in den sechziger Jahren sandte; sie erinnert sich: an die Kindheit, an Ferienlager auf Rügen, an den 17. Juni 1953 oder an Wendezeiten, in denen alles möglich schien. Da war sie dabei, wenn auch nur ein bißchen.

Sie besucht ihren Mann im Westen. Sie sieht „Gesichter so rosig golden in der Abendsonne. Lauter Kinder in vorgerücktem Alter. [...] Menschen mit einer Glasur über den Gesichtern, vielleicht zum Schutz gegen die Zeit oder als Visier im Nahkampf.“ Auf einer Party mit erfolgreichen West- Freunden ihres Mannes fühlt sie sich als Ostlerin recht allein. Aus Überdruß am gelangweilt dahinplätschernden Small talk erzählt sie einer desinteressierten West- Tussi, die schon mal durch Mecklenburg-Vorpommern gefahren ist, ganz im Vertrauen eine ausgedachte Biographie. Aus einem aufrichtig kommunistischen Elternhaus komme sie, aus großer Verliebtheit in ihren Führungsoffizier sei sie zum IM „Norma“ geworden. Als der Führungsoffizier wechselte, habe sie sich verweigert. Geschadet habe sie niemandem.

Die West-Tussi erzählt die klischeereiche Geschichte natürlich weiter. Engagiert sitzen die Westler am nächsten Tag zusammen, um zu bereden, wie man der armen Übersetzerin helfen könne. Ihr Mann ist verstört und will nicht glauben, daß sie sich alles nur ausgedacht hat. Er will die „Wahrheit, schrie er, und wenn du sie mir nicht sagen willst, prügele ich sie aus dir heraus!“ Sie fährt zurück nach Berlin und läßt den Leser allein mit diversen Indizien, die darauf hindeuten, daß auch andere Teile ihrer Biographie erfunden sind.

Die Schwierigkeit, sich in einem völlig veränderten System seiner Biographie zu versichern, ist das Hauptthema von „Unter dem Namen Norma“. Am lebendigsten sind jedoch kleine Episoden, die Brigitte Burmeister immer wieder einstreut. Die Schilderung einer Hinterhofversammlung zum Beispiel, in der die Mieter aufgeregt und mehr oder weniger selbstgerecht über die DDR-Vergangenheit diskutieren. Die Übersetzerin mutmaßt gemeine Sündenbockschlachtereien, als sie den alten Sozialisten Herrn Bärwald inmitten der Redenden entdeckt und will dem vermeintlich Bedrohten beistehen. Eine Schande sei es, „den alten Mann zu quälen, der überzeugt war, einem guten Zweck zu dienen“. Der kann jedoch auf ihre Parteinahme verzichten. Er hatte selbst die Hausversammlung einberufen. „In meine Sprechstunde ist ja keiner gekommen [...], da habe ich an eine Versammlung im Freien gedacht, denn ohne Beteiligung des Kollektivs kann Kritik und Selbstkritik nicht gedeihen.“ Detlef Kuhlbrodt

Brigitte Burmeister: „Unter dem Namen Norma“. Klett-Cotta Verlag, 270 Seiten, geb., 36 DM