Schriften zu Zeitschriften
: „CIA-Agent“ mit europäischen Ideen

■ Finsteres, Entlegenes, Nachlesenswertes: Eine Zeitschrift dokumentiert seit über zwei Jahrzehnten die deutschen Angelegenheiten aus europäischer Sicht

Als das erste Heft der europäischen ideen unter dem Leitthema „Exil 1973“ mit Beiträgen von Alfred Kantorowicz, Peter Huchel und Robert Havemann in Westberlin erschien, wurden auch die professionellen Schnüffler in der anderen Stadthälfte aufmerksam. Ein literarisches Gutachten wurde angefordert, der finanzielle Hintergrund des Herausgebers Andreas W. Mytze ausgespäht, und schließlich sollten gezielt Denunziationen gestreut werden, um Mytze im Westen mit dem Stigma des „Antikommunismus“ zu versehen. Als „Einrichtung des amerikanischen Geheimdienstes“ ist die Zeitschrift geschmäht, ihr Herausgeber 1977 im Stern als „Westagent“ angefeindet worden.

Wer Dissidenten aus Osteuropa und der DDR einen Raum für politische und literarische Publizistik bot, konnte im damaligen gesellschaftlichen Konsens nur ein „Entspannungsfeind“ sein. Was machte es da, daß in der Zeitschrift die ganze mögliche Breite der Opposition – vom Regimegegner bis zum verhinderten Regimeverbesserer – vertreten war. Neben den deutsch-deutschen Themen (zum Beispiel Heft 2: „Wie viele deutsche Literaturen gibt es?“, Heft 13 mit dem doppeldeutigen Titel „Dramatik in der DDR“) ging der Blick des Herausgebers von Anfang an über den deutschen Tellerrand hinaus. Vom Anspruch, „europäische Ideen“ zu dokumentieren, zeugen Themen wie „Exil in der Sowjetunion“, „Massenmedien in Osteuropa“ oder Sonderhefte zu Ignazio Silone, Milan Kundera und Erich Fried.

Mittlerweile besteht die Zeitschrift, die von London aus redigiert wird, im zweiundzwanzigsten Jahr. Da der redaktionelle Leitgedanke des Herausgebers in der Dokumentation liegt, stehen Originalbeiträge der Autoren neben bereits andernorts publizierten Texten, Interviews neben Meinungsäußerungen im Telegrammstil. Kommentiert wird allein durch die Auswahl und Zusammenstellung der Beiträge. Das jüngste Heft (Nr. 91) enthält Beiträge und Materialien zur Debatte um die Stasi-Verstrickung der Intellektuellen. Aus einem der Dokumente geht die freiwillige Zusammenarbeit Wolfgang Harichs mit dem Geheimdienst anläßlich einer vom Westen aus für Rudolf Bahro organisierten Solidaritätsaktion hervor.

Harich gehört zu den schillerndsten Gestalten der deutschen Nachkriegsgeschichte. 1956 wurde er wegen des Versuchs, die SED zu reformieren (ein Versuch, der mit handfesten Umsturzplänen gegen Ulbricht einherging), gemeinsam mit Janka, Just, Schröder und anderen zu langjähriger Haft verurteilt. 1986 machte er noch einmal mit dem Ruf nach dem Zensor von sich reden. Nietzsche zu lesen und in der DDR veröffentlichen zu wollen, schrieb er in Sinn und Form, sei gegen die Verfassung des Landes gerichtet. Die jüngste Entdeckung, daß sich Harich der Stasi dienstbar gemacht hat, ergänzt das Bild von einem Mann, der acht Jahre Zuchthaus nicht ungebrochen überstanden hat.

Manche der Hefte aus jüngerer Zeit besitzen schon heute historischen Materialwert, etwa jene Ausgaben von 1989/90, worin eine Phalanx prominenter Intellektueller auf die Frage antwortet, ob für die nahe Zukunft der deutsche Einheitsstaat drohe. Durchgängig ist die Verwirrung in Ost und West ob der neuen Zustände, geradezu autistisch die Reaktionen der meisten Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler. Die größte Sorge gilt der Möglichkeit, daß die hehren Ideale der Revolution vom bananengierigen Volk in den Dreck gezogen werden könnten. In dieser Furcht ist sich ein Teil der westdeutschen Linken mit den Bankrotteuren des DDR-Systems einig. Während Bernt Engelmann vor „Konsumwolken“ warnt, welche die Hoffnung ersticken könnten, malt Willi Sitte das Schreckensbild vom „großdeutschen Reich“ an die Wand. Gregor Gysi will sich zum Jahreswechsel 1989/90 sogar dafür einsetzen, „reale Voraussetzungen für Reisen auch nach Paris, London, Rom oder Madrid zu schaffen“. Zuviel der Gnade!

Nicht mehr nur hilflos, sondern zynisch ist der Versuch des damaligen Chefs der Ostberliner Akademie der Künste, Manfred Weckwerth, die politische Linke vom Stalinismus reinzuwaschen. Stalin habe „der Revolution den bisher größten Schaden beigebracht, der mit 20.000 ermordeten Revolutionären zu beziffern ist“. Pech für die paar Millionen anderer Stalin-Opfer, die keine Revolutionäre waren, die kommen in Weckwerths finsterem Geschichtsbild nicht vor. Viel weniger hysterisch als ihre deutschen Kollegen reagieren übrigens die befragten Ausländer angesichts der Umwälzungen in Ost- und Mitteleuropa. Ohne die historische Erinnerung zu verdrängen, wird die Vereinigung der deutschen Staaten als etwas Normales und – im Sinne der Stabilität – Wünschenswertes angesehen. Tadeusz Nowakowski: „Sollte den Polen nicht daran gelegen sein, einen Nachbarn zu haben, der kein Polizeistaat ist?“ Und Milan Kundera: „Der deutsche Einheitsstaat est une nécessité.“ Was kann das hiesige Publikum mehr verlangen von europäischen ideen, als hin und wieder den Abstand zur eigenen Aufgeregtheit vor Augen geführt zu bekommen?

Peter Walther

Die Zeitschrift „europäische ideen“ erscheint mit cirka sechs Heften im Jahr (jährlicher Abonnementpreis: 27 DM zzgl. Porto). Zu beziehen über die Buchhandlung Zimmermann in Berlin, Tel. 030-34 24 044.